„… oder doch Zauberei?“

„… oder doch Zauberei?“

Ein bisschen Magie zumindest muss im Spiel gewesen sein, wenn eine Sparkasse nicht nur einer Ausstellung der Textilkunst Raum bietet, sondern auch noch mit dem Titel „GEKLÖPPELT – ODER DOCH ZAUBEREI?“ ein adventliches Türchen in die Welt der Märchen und Mythen öffnet: Vom 17.12.2018 bis zum 18.01.2019 präsentiert sich last but not least nach „LEINEN LOS“ im Eichsfeldmuseum Heiligenstadt und „RINDENHART & SAMTWEICH“ in der Erfurter Michaeliskirche die Kapitänin von TEXTILR(A)USCH und Erfurter Klöppelgruppe Gerlinde Rusch mit eigenen experimentellen Arbeiten in der Sparkasse Ilmenau. Dazu gab es natürlich für die zahlreichen sachkundigen BesucherInnen der Vernissage nicht nur eine eigene Laudatio, sondern auch noch eine moralisch märchenhaft korrekte „Ballade vom einsamen Klöppel“ als Sahnehäubchen obendrauf …

VERNISSAGE 17.12.2018

 

Ausstellung „Geklöppelt oder doch Zauberei?“

Am roten Faden durch die Märchenwelt: Gerlinde Rusch

Laudatio zur Vernissage in der Sparkasse Ilmenau

 

In allen Märchen spielen die magischen Zahlen eine bedeutsame Rolle. Und so wie mit der Sieben bei den sieben Geisslein, den sieben Raben oder den sieben Zwergen ist es mit der Drei. Daher gibt es z. B. drei Söhne, und der jüngste wird zuweilen zwar Dummling genannt, ist aber am Ende märchenhafterweise doch der Sieger, ebenso wie das Aschenputtel unter den drei Töchtern mit Klugheit den Prinzen gewinnt. Oder drei wichtige Dinge müssen geschehen, bis das Wunder endlich eintrifft: Drei goldene Dinge voll Symbolkraft gibt Allerleirauh dem König, in drei Kleidern tritt sie vor ihn hin, bis er sie erkennt. Und dreimal kommt der Geist der getöteten Königin aus „Brüderchen und Schwesterchen“ an das Bett ihres Kindes, bis der König die Wahrheit begreift. Das betrifft auch mich: Nach zwei Vernissagen in Heiligenstadt und Erfurt spreche ich daher heute zum Auftakt der dritten unter dem Zeichen des Klöppels die magischen Worte der verkannten Königin:

„Was macht mein Kind, was macht mein Reh?
Jetzt kommt ich noch einmal, dann nimmermeh‘!“

Das gilt bei mir zumindest für das flott aufs Ende zusteuernde Jahr 2018.

So märchenhaft und magisch geht es allerdings in dieser kleinen, aber feinen Personalausstellung der Kaptänin von TEXTILR(A)USCH und Erfurter Klöppelgruppe an allen Ecken und Enden zu. Und das ist natürlich kein Zufall und auch keine Zauberei, ebenso wenig (auch wenn es manchmal so scheint) wie das Klöppeln selbst, dem sich Gerlinde Rusch seit Jahrzehnten intensiv widmet – allein und gelegentlich auch im Rudel als Leitwölfin, klein, aber oho – und selbstverständlich ohne jeglichen Appetit auf rotbemützte Kinder, Omas und kleine Ziegen.

Zauberei ist das Stichwort – auf ihren Schwingen durchstreifen wir ein Wunderland: Nicht erst vor Weihnachten, sondern in vielen Alltagssituationen begleiten uns Märchen mit ihren bekannten Figuren und deren Erlebnissen, die im wahrsten Sinne seit Menschengedenken gespeicherte Erfahrungen mit unterschiedlichen Lebenssituationen bildhaft gebündelt für uns bereit halten. Natürlich finden wir hier im Unterschied zu den derzeit landesweit verbreiteten Märchenwäldern der Weihnachtsmärkte keine offensichtlichen Illustrationen dieser weltweit einander gleichenden und bei Alt und Jung bekannten Geschichten, wohl aber von Dornröschen bis zur Schneekönigin deren unverzichtbare charakteristische Kulissen und Accessoires, wenn denn unsere Fantasie den Träumen der Künstlerin mutig und einfühlsam zu folgen vermag. Da wachsen etwa aus seidenumsponnenen Ästchen und fein zusammengezwirbelten, matt schimmernden oder metallisch funkelnden Fäden neben, über und unter zerflatternden exotischen Kozo-Fasern altertümlich anmutende Bauten heran, die auch aus den gewölbten Baumspitzen eines zum Verirren schönen Märchenwaldes zusammengefügt sein könnten und in offener Textur auf locker gedruckten Siebdruckfonds angeordnet sind, magisch akzentuiert durch das Feenauge einer prägnanten Fensterrosette aus seidenen Saristreifen. Ist das nicht ein Traumort für eine wahre Märchenhochzeit? Und dort wiederum wölben sich archaische Rundkuppeln einem Luftbild gleich über den Fragmenten eines überwucherten Schlosses nach möglicherweise hundertjährigem Schlaf. Kryptische Schriften wie in verwittertes Mauerwerk gegraben oder auf überlieferten Papyrusrollen oder Tontafeln rekonstruiert entstehen aus Fäden und Bändern und lassen den Betrachter textile Geflechte als ambivalente Typografik mysteriöser Zauberbücher empfinden. Und manches Mal scheinen gar tautropfenfunkelnde federleichte Feenschleier und diamantblitzende Prinzessinnengewänder um die alten Weiden am Seerosenteich zu wehen, oder struppige Waldgeister lugen aus dem Dunkel des Bildgrundes hinter bizarren Gespinsten hervor.

Doch sogar die textile Realität selbst ohne jedwede Märchenträume erscheint oftmals so fantastisch, dass sie auf den ersten Blick nur durch Zauberkünste erklärbar scheint. Das trifft besonders auf kühne, gestalterisch wie technisch geradezu abenteuerliche Materialkombinationen zu: Textile Elemente verbinden sich mit handgeschöpften Papieren, Naturstoffen wie Holz und anderen Pflanzen, neu definierten Fundstücken aus dem menschlichen Alltag, die auf diese Weise wieder Leben gewinnen, Metallen in diversen Zuständen oder sogar Glas, z. B. in gezielter Zusammenarbeit mit einer Glaskünstlerin. Dafür werden zuvor von Gerlinde Rusch geklöppelte und montierte Arbeiten von Kati Kerntopf zwischen Hüttenglasplatten eingeschmolzen und spielen einmal mehr mit dem Kontrast von Transparenz und Dichte. Das hat in der Hüttenglaskunst durch das Überfangglas mit bildnerisch-dekorativen Einschlüssen bereits eine beeindruckende Tradition, stellt aber mit Klöppelarbeiten wohl doch eine absolute Innovation dar. Aber auch andere Künstler entdecken immer wieder einmal das expressive Potential der Verbindung von Malerei und Grafik mit Glas, wie die aktuelle Ausstellung von Gerd Sonntag im Stadtmuseum Jena beweist. Gut zu wissen, dass man in Thüringen am Glas wohl nicht vorbeikommt.

Doch all das ist natürlich keine Zauberei, denn die Leitwölfin ist zugleich eben auch eine schlaue Füchsin (sowas ist nicht nur im Märchen möglich!), die nicht nur alle altbekannten Tricks dieses Webens ohne Webstuhl vom langweiligen, aber vielseitigen Leinschlag bis zum kapriziösen, aber tückischen Blättchen virtuos beherrscht, sondern, statt sich damit zu begnügen, unerschrocken immer wieder – gern mit ebenso tapferen Gefährtinnen an der Seite – zu neuen Abenteuern aufbricht.
Fremde Reiche zu erobern eröffnet neue Möglichkeiten: Emaillieren von geklöppelten Drahtskulpturen in den Erfurter Künstlerwerkstätten gehört dazu, aber auch, selbst Papier zu schöpfen, um geklöppelte und andere Kostbarkeiten hinein zu versenken und das Ganze zudem noch in Wachs erstarren zu lassen wie bald darauf andere Textilminiaturen in Glas.

Lächelt da nicht Schneewittchen um die Ecke? Ende gut, alles gut? Nicht ganz! Denn ein Märchen unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt vom Abenteuer des freien Klöppelns wie von jeder kreativen Aufgabe: Während wir bei den magischen Geschichten, ob gesammelt und poetisch aufgeschrieben von den Gebrüdern Jacob und Wilhelm Grimm oder frei erdacht vom Dänen Hans Christian Andersen, nach allem Hin und Her eines Happyends gewiss sein können, ist das Hin und Her auf dem Klöppelsack dagegen eine Reise mit ungewissen Ausgang, spannend bis zum letzten Schlag trotz aller konzeptionellen Grübelei zu Beginn und gelegentlicher Routine auf dem Weg zum Ziel. Der faszinierenden grafischen Spur des Fadens wie einer Lebenslinie zu folgen erfordert bei jedem Schritt den Mut zu neuen Entscheidungen, und die bunten Nadeln fixieren diese Wegmarkierungen. Da gibt es durchaus auch Irrwege, aus denen kluge SpurensucherInnen jedoch bestenfalls sogar neue Inspirationen schöpfen können. Nur so gewinnt die Idee ihre wirkliche, fassbare und zugleich ambivalente Gestalt, die aus der Verbindung einer individuellen Bildvision mit den charakteristischen Ausdruckswerten von Material und Technik erwächst – ein unendliches Abenteuer mit Herz und Hand, von dem man nicht mehr lassen kann, wenn’s einen einmal so richtig gepackt hat. So ist der Tatbestand auch bei Gerlinde Rusch. Und dass Gemeinsamkeit das Erlebnis dieses Abenteuers potenzieren kann – sozusagen wie das Heulen im Wolfsrudel – davon überzeugt die Leitwölfin mittels einer reliefartigen Klöppelmontage unter dem allerdings ziemlich doppelbödigen Titel „Viele Hände – schnelles Ende“.

Zwischen der Märchenwelt und einem Künstlerleben lassen sich sicherlich zahlreiche magische Fäden knüpfen – ironisch-spielerische und auch ziemlich ernsthafte. Zu den Gemeinsamkeiten gehören die führende Rolle der Phantasie vor der Logik und daraus resultierende scheinbar unerklärliche Abläufe, unerwartete Verwandlungen oder unlogische Wendungen, ohne die es aber letztlich nicht funktioniert. Aber besonders zwingend erscheint mir folgende Parallele: So wie im Märchen die Lebenserfahrungen und Lebensträume von Generationen für die Kommenden nachvollziehbar bewahrt werden, so manifestieren sich im kleinen Welttheater eines künstlerischen Lebenswerks Erkenntnisse und Wünsche einer einzelnen sehr besonderen Persönlichkeit und fordern die Betrachter dazu heraus, diese zu ergründen, mit der eigenen Weltsicht zu konfrontieren und so produktive Zweifel zu wecken (nicht zuletzt auch an sich selbst) oder Bestätigung und sogar Ermutigung zu erfahren. Eine solche Ermutigung besteht in einer Zauberformel für das Wachsen und Werden der Dinge, die das Arbeiten vom kleinen Faden in die große Welt hinein ebenso beschreibt wie die Bedeutung des Samenkorns, des Keimlings und der ersten Eingebung – vom chinesischen Weisen LaoTse in die Worte gefasst:

… denn alles Schwere der Welt ward aus Leichtem,
und alles Große entsteht aus Geringem.
Nie müht sich darum der Weise um Großes,
und so vermag er Großes zu schaffen.

Darum nur mutig hereinspaziert mit offenen Augen und Herzen und vielleicht (für die besonders Mutigen) mit einem Zauberspiegel in der Hand in die wunderbare Märchenwelt der Textilkunst von Gerlinde Rusch! Ich wünsche allseits lustvolle und erkenntnisreiche Überraschungen!

 

Dr. Jutta Lindemann
Dezember 2018

Irrungen Ent-Wirrungen oder: Die Ballade vom einsamen Klöppel

Einst flitzten flink und voll Stolz
Viel Stäbchen, rund und ganz aus Holz,
Von feinen Fäden dicht umringt,
Im Tanz, der in den Ohren klingt,
Quer über einen dicken Sack
Und auch zurück – das ging zackzack.

Jedoch – sie taten‘s nicht allein,
Da mussten noch zwei Hände sein,
Die hingen an ‘nem Frauenzimmer,
Das war die Chefin, und zwar immer.
Die steuerte, dass jeder mit muss,
Die Richtung, Drehung und den Rhythmus.

Und schau, ein jeder Faden rollte
Vom Stäbchen ab, wie sie es wollte,
Und blieb dort auf dem Sacke liegen,
Um sich zu schlingen und zu fügen
um bunte Nadeln in der Art,
Dass daraus feines Netzwerk ward.

So weit, so gut – im ganzen Land
Hat man das Klöppeln dann genannt.
So heißen diese Wunderstäbe,
Und Klöppeln war bald gang und gäbe.
Es ging ja beinah von alleine,
Zweifel und Ängste gab es keine.

Bis dann das Ding geschehen ist:
Es ward ein Klöppel jüngst vermisst!!!
Und alle Klöppel stehen still,
Wenn ein Vermisster das so will!
Wie kam denn das, und wie ging‘s aus?
Nur zu – ich lass die Story raus!

Die Finger ließen Klöppel wirbeln,
Damit die Fäden sich verzwirbeln,
Das ging in einem Affenzahn
nach links, nach rechts flott seine Bahn.
Der Kopf der Chefin da ganz oben,
Der wollte sich schon selber loben.

Dabei vergaß er prompt die Hände,
Doch ohne die bringt ganz am Ende
die Chefin gar nichts mehr zustande.
Das merkte flugs die Klöppelbande.
Und mit den Fingern im Verbunde
Ging‘s kopflos in die nächste Runde.

Doch setzt man nur noch auf Routine,
Gerät man auf die falsche Schiene:
Am Reihenende war, o Schreck,
mit einem Mal ein Klöppel weg!
Achtloser Hand war er entglitten
Und hing nun einsam in der Mitten.

Schrie Zeter laut und Mordio,
War seines Lebens nicht mehr froh:
„Zu zweit – das wär ja noch gegangen,
Doch will ich nicht allein hier hangen!
Da geht’s nicht vor und nicht zurück,
Mit euch nur finde ich mein Glück!“

Die andern war‘n zwar längst von dannen,
Doch kam‘s, dass sie sich noch besannen.
Denn nur zusammen läuft es richtig.
Dass jeder mitmacht, ist sehr wichtig.
Sonst gibt es Fehler im System,
Und das wird schließlich zum Problem.

Wer jedoch aus der Reihe schert,
Wird eines bessern bald belehrt.
Das klingt ja wie in alten Tagen?
Na gut – man kann‘s auch anders sagen.
Man dreht es einfach mal herum,
Dann wird das Individuum

auch unverzichtbar für die Masse.
So wechselseitig hat das Klasse!
Denn jeder in dem Rudel
Ist ganz individudel!
Doch was man gleichfalls lernen kann:
Nur gemeinsam geht’s voran!

Sie nudelten das Garn zurück
Mit viel Geduld und viel Geschick.
Mitsammen ging es bis zum Ende:
Die Klöppel alle, Kopf und Hände!
Und die Moral von der Geschicht‘?
Vergesst mir keinen Klöppel nicht!
Das Große wird aus vielem Kleinen,
Kann sich‘s zu einem Ziel vereinen.

→ Journalbeitrag zu den Ausstellungen LEINEN LOS! und RINDENHART & SAMTWEICH
→ zu den Bildgruppen in der Rubrik Textil
→ Der Faden im Glück
→ Vom Faden

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Fotos: Lisa Geyer und Andrea Wolleschensky