Mütter – Töchter – Madonnen

Vernissage Uta Hünniger am 03.11.2003, Kleine Synagoge

Für den orthodoxen Christen oder Juden verkörpern sie die Erbsünde, die Unreinheit, der chinesische Weise Lao-Tse dagegen fragt:

Kann sich öffnen und schließen das Himmelstor ohne das Weibliche?

In allen Religionen spielen Frauen eine besondere Rolle, die oft im Widerspruch zur Realität des Lebens von Frauen in der von diesen Religionen beherrschten Welt steht. Schließlich war es Eva, deren Wissensdurst uns ins irdische Leben führte, und wo wären die Völkers Israels ohne Sara, aber auch deren Magd Hagar, ohne Rebekka und ohne Rahel und deren Schwester Lea, mit denen und deren beiden Dienerinnen Rebekkas Sohn Jakob die zwölf Söhne zeugten, aus denen die zwölf Stämme Israel hervorgingen. Und hätte des Pharaos Tochter nicht den kleinen Moses aus den Fluten des Nils gerettet …?

Und wie wäre des mit der Weisheit des großen Salomo wohl bestellt gewesen ohne die vermutlich anregenden Impulse der sagenhaften Königin Semiramis?

Aber dann gab es da auch noch Lilith, den Gegenentwurf zu Eva, es gab die leidenschaftliche Potifar, die kämpferische Judith.

Das Christentum gäbe es nicht ohne Maria und ihre mysteriöse jungfräuliche Empfängnis, aber genauso gehört die sehr irdisch sündhafte Maria Magdalena dazu, die doch offentlich Jesus‘ besondere Aufmerksamkeit erringen konnte. Und schier unüberschaubar sind die Scharen der weiblichen Heiligen – bis hin zur jüngst selig gesprochenen Mutter Teresa.

 

Und die anderen Religionen und Kulturen?

Abgesehen von der griechischen und römischen Götterwelt mit seiner noch ziemlich ausgewogenen Rollen- und Machtverteilung zwischen weiblichen und männlichen Göttern zählen Frauen bald nur noch als Gefährtinnen von männlichen Protagonisten im Himmel und auf Erden – wenngleich mit oft ganz besonderen, unvergleichlichen Kräften. Originell, aber für den Kenner des als besonders feminin beschriebenen Wesens der Felidae nicht überraschend, erscheint in diesem Zusammenhang die Existenz der weiblichen Katzengöttin Bastet in Ägypten – vielleicht kann als gewissermaßen männliches Pendant der Schakalgott Anubis gelten, Wächter des Totenreiches.

Als heilig betrachtet wird häufig vor allem oder ausschließlich die Frau als Mutter oder Gefähtin des heiligen Mannes:

Siddharta-Buddhas Mutter Majadewi (übrigens wie die im katholischen Abendland, aber auch von Sinti und Roma als Mutter Jesu verehrte Maria mit einer sogenannten „jungfräulichen“, also reinen, sündenfreien Empfängnis gesegnet) und seine Frau Jaschodhara gingen zwar in die indische Reliogionsgeschichte ein wie Maria und Maria Magdalena in die des Christentums, jedoch nur allein in dieser Eigenschaft ihrer Beziehung zu Buddha bzw. Jesus. Der Hinduismus dagegen glaubt in einigen besonderen Strömungen, etwa dem Tantrismus, an eine ganz unabhängige, eigenständige weibliche Urkraft – vielleicht auch vergleichbar mit der unberechenbaren, unauslotbaren Erdgöttin Gaia, der Naturgöttin Demeter oder der kriegerischen Astarte eher heidnischen Ursprungs – deren sowohl bewahrenden als auch zerstörerische, gnädige und zugleich strafende Macht etwa in der „Großen Weltmutter“, der Göttin Parvati“, Frau Shivas, und in in ihren verschiedenen Inkarnationen Durga und Kali angebetet und zugleich gefürchtet wird.

 

Hier ist eine geistige Linie zu erspüren beispielsweise zu den afro-brasilianischen und afro-karibischen Religionen, die ebenso von Priesterinnen wie von Priestern mit höchster sozialer Intergrationsfähigkeit getragen werden, wobei den Frauen als Quelle des Lebens und Überträgerinnen heiliger Kräfte an die neuen Generationen eine ganz besondere Rolle zukommt. In einigen schwarzafrikanischen Religionen wird die Gottheit sogar als eine Ganzheit von Mann und Frau aufgefasst – und kommt so dem Prinzip des sich ergänzenden Yin und Yang des chinesischen Laoismus nahe, der – unabhängig von der biologischen Geschlechtszugehörigkeit – als weiblich und als männlich bezeichnete wertfreie Wesenheiten gegenüberstellt:

Das weibliche Yin steht für dunkel, schwach, ruhig, kontemplativ, nachgiebig, kompliziert, intuitiv, unten, Nacht, das männliche Yang für hell, stark, schöpferisch, , fest, bewegt, klar, rational, oben, Tag.

Beide Prinzipien enthalten jeweils den Kern des anderen in sich und ergänzen einander unabdingbar – wäre das nicht ein Lösungsweg auch für unsere Zukunft? Ist etwa der Hermaphrodit, der Zwitter – in der übrigen Natur keine ungewöhnliche Erscheinung – ein Lösungsansatz, zumindest in psychisch-seelischer Hinsicht? Lao-Tse schlägt vor – und zwar Frauen und Männern gleichermaßen:

Kenne das Männliche, aber bewahre das Weibliche.

Kenne das Licht, aber bewahre den Schatten.

Kenne das Hohe, aber bewahre das Niedrige.

 

Häufig gehen die spirituelle und die irdische Macht von Frauen ineinander über oder potenzieren sich im Verbund:

Des Propheten Mohammed Tochter, Fatima, hält noch heute ihre schützenden Hände in Form kunstvoller Talismane über Gläubige wie Ungläubige, während seine 2. Frau Aisha für viele Musliminnen auf Grund ihrer Frömmigkeit, aber auch ihrer Redegewandtheit und ihres Mutes als Oppositionelle und „Mutter der Gläubigen“ nach Mohammeds Tod Vorbild für ihre Lebensführung ist; die Lieblingsfrau des Großmoguls Schah Dschahan, Ardschumand Banu Begum, ging in die Architekturgeschichte ein, jedoch nicht aus eigener Kraft, sonder weil ihr der eines der architektonischen Weltwunder als Grabmal errichtet wurde, der imposante Tadsch Mahal; schon sehr irdische, historisch einflussreiche Macht gewannen dagegen die Pharaonin Kleopatra und die Kaiserin Theodora, ja sogar eine – wenngleich bis heute umstrittene – Päpstin, aber auch eine bis in die heutige Zeit ausstrahlende Mystikerin wie Hildegrad von Bingen und die energische Katharina von Bora, entflohene Nonne und Martin Luthers spätere Frau.

 

Und dabei ersparen wir uns noch den Blick in die historischen Untiefen der bis in die Gegenwart auch unseres anscheinend so aufgeklärten, ziviliserten und emanzipierten Europa anhaltenden Verfolgung kraftvoller und kluger Frauen und ihrer oftmals unerklärlich scheinenden Kräfte zwischen keltischen Naturgöttinnen und mittelalterlichen Hexen, aber auch politisch schillernder Gestalten zwischen Marie Antoinette und und Nadeshda Krupskaja.

 

Aber: Madonna mia – von Psalm bis Pop! Obwohl Frauen aller Kulturkreise (und dafür werden einige von ihnen bis heute verehrt und sogar angebetet) in der Geschichte bewiesen haben und in der Gegenwart tagtäglich beweisen, dass nichts in der Welt ohne Frauen richtig läuft, sieht es mit ihrer Anerkennung in der irdischen Wirklichkeit noch immer nicht so rosig aus, wie es sich Generationen von Müttern zuerst für sich, dann aber wenigstens für ihre Töchter erhofft hatten.

Dabei ist beispielsweise gerade die „jiddische Momme“ nicht nur eine Respekt heischende Persönlichkeit, sondern letztlich ausschlaggebend dafür, ob sich jemand als geborener Jude bezeichnen darf.

Und trotzdem ist das Rollenbild auch der jüdischen Frau in der Gegenwart und sogar im modernen Israel widersprüchlich zwischen orthodox strengem Reglement und liberal emanzipierter Rebellion.

Wo sind die Ursachen – was kann frau tun?

Die bedachtsam von Uta Hünniger anlässlich der diesjährigen Tage der jüdisch-israelischen Kulturtage in Erfurt zum Thema „Jerusalems Töchter“ für die Frauenempore der Begegnungsstätte Kleine Synagoge ausgewählten Bilder stellen einen besonderen Aspekt in den Kontext ihrer derzeit im Kunsthaus zu sehenden Ausstellung und einer am 27.11. in der Unibibliothek zu eröffnenden Exposition – denn Frauen (sie selbst inbegriffen) und ihre Rolle in unserer Welt sind seit jeher ein zentrales Thema ihres Schaffens – Auslöser für eine Intensivierung der Auseinandersetzung damit und erneute Konzentration darauf sind der Amoklaauf von Erfurt am 26.04 2002, der Beginn des Irak-Krieges am 20.03.2003 und die Wirkung beider Ereignisse auf ihre heranwachsenden Töchter, deren Aufbruch in die Realität aus der Schutzzone der Familie, deren eigenständiges politisches Engagement in der Initiative von Jugendlichen „Schrei nach veränderung“ (die mich an die Initiative „Frauen für Veränderung“ während der Wendezeit in Thüringen erinnert). Sie beginnt sich zu fragen, was Mütter und Töchter einander mitzugeben haben als Proviant für die Lebensreise, aber auch, was für Erwartungen und Anforderungen sie selbst an sich stellt, welche Potenzen in ihr schlummern und wie sie sie nutzt, wie sie neue Reservoire entdecken und erschließen kann, die als Energiebombe in Freude, Lust und Erfolg, aber durchaus auch in Ängsten, Zweifeln und Widersprüchen stecken – im Leben selbst mit all seinen Facetten. Sie sucht in den Gesichtern der Töchter und im eigenen Spiegelbild nach den Spuren, die innere Bewegungen im Äußerlichen hinterlassen, und nach Wegen, diese zu bekräftigen und zu verstärken, Spuren, die zurückgehen bis auf die Genesis der Generationen von Frauen, deren Schicksale und geistige Erbschaften bewusst oder unbewusst prägend unseren Lebensweg kreuzen.

 

Bleistiftzeichnungen graben in den unterirdischen Höhlen mythischer Erinnerungen, öffnen Denkräume und füllen sie mit dem Licht des Geistes, umreißen entdeckend die klar konturierten Profile kraftvoller, möglicherweise geschichtsprägender Frauencharaktere, deren Blicke über Jahrhunderte und Kontinente hinweg einander wechselseitig Mut zusprechen, die Europäerin der Afrikanerin, die Muslimin der Jüdin, das Kind der Königin.

Die grafisch-gestische Malerei der in Erfurt ansässigen gebürtigen Weimarerin, mit ihrer betonten Linearität bis hin zu zeichenhafter Ornamentik – die Spirale als Lebenssymbol – bezieht geistige und formale Impulse unter anderem aus der expressiven Bildsprache eines Edvard Munch und bewegt sich inhaltlich auf diesem seit Jahrtausenden schmalen Grat jeder für das Leben engagierten Künsterin zwischen nachdenklicher Analyse und nachdrücklicher Auflehnung.

 

Dabei ist die körperhafte Sinnlichkeit des Farbmaterials ebenso wie die dem Pinselfluss folgende Bildbewegung Träger des spirituellen Anliegens: Aus den Farbmassen schwerer Thüringer Erde wächst noch verhalten Seite an Seite mit der Erdmutter Una das fragende Gesicht ihrer Tochter, durch sparsame blutrote Linien aus dem schweren Braun herausgeschält. Das Selbstbildnis dagegen fordert durch aggressive Kontraste und suggestive Konfrontation in einer zentralen Komposition die Betrachter zur schonungslosen Selbstbefragung heraus: Welches Erbe gebe ich weiter, körperlich und seelisch, materiell und spirituell? Welche Schuld trage ich, welche Verdienste habe ich um die nächste Generation? Wie präge ich ihr künftiges Schicksal? Zwischen Mutter und Madonna, Heiliger und Hure sind die Spielräume unermesslich und doch zuweilen mit einem Schritt unumkehrbar durchschritten. Ist alles möglich? Ist alles nötig? Was wollen wir voneinander, was brauchen wir voneinander? Was wollen wir von uns selbst? Selbsterkenntnis ist der erste Schritt, um dieser Verantwortung gegenüber den Nachgeborenen gerecht zu werden.

 

Uta Hünnigers Pinsel seziert Seelen, doch ohne zu verletzen, sondern um zu heilen, Leben zu behüten – oder besser – für die Eigenständigkeit zu stärken, ohne an Sensibilität zu verlieren. Sie legt Gloriolen als Kappen und Kronen um tapfer lachende oder sinnend gebeugte Köpfe – wie Chakren, als Zeichen geistiger Würde und Ausstrahlung, aber auch als Schutzhelm und Tarnkappe, wenn nötig – und schlägt einen magischen Bogen vom irdisch-sinnlichen, verletzlichen Weib zur himmlisch verklärten, anscheinend unberührbaren Ikone der Madonna, führt letztlich beide in eins zusammen.

 

Und sie macht sinnfällig, warum ein keltisches Gesetz, dass eigentlich ins Grundgesetz der Bundesrepublik aufgenommen werden müsste, lautet:

 

Gib zwei Drittel deiner Kraft den Frauen, den Kindern und den Poeten!

 

Erfurt, 02.11.2003 | Dr. Jutta Lindemann