Das Perpetuum Mobile

Geschichte einer Erfindung von Paul Scheerbart und Fotografien von Jörg Behrens

Laudatio zur Vernissage am 10.10.03 in der Galerie Waidspeicher des Kulturhofs zum Güldenen Krönbacken

Ein Mops kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei,

da nahm der Koch den Löffel und schlug den Mops zu Brei,

da kamen viele Möpse und gruben ihm ein Grab

und setzten ihm ein’n Grabstein, worauf geschrieben stand:

Ein Mops kam in die Küche … usw. usf.

 

Von eventuellen Einwendungen des Tierschutzvereins abgesehen – habens Sie’s gespürt, dieses Gefühl potentiell unendlicher Urkräfte, das uns wie ein Hauch aus Himmelshöhen anweht und einen Wimpernschlag lang erschauern macht?

Kommt da nicht Hoffnung auf? Unbedingt!

Wir glauben, also ist es! Kann da Zweifel Platz greifen?

Und es dreht sich doch: das Perpetuum mobile!

Und zwar seit Ewigkeiten!

Mir selbst rollte es schon in frühester Jugend über den Weg: bei der Lektüre der wissenschaftlichen Abenteuer der drei frei in Raum und Zeit reisenden Forschergenies Dig, Dag und Digedag, in einer Warteschlange vor dem Thron eines ägyptischen Pharao mit allerhand Perpetuum-Mobilisten, deren Tricks sie findig und pfiffig wie immer leicht entlarvten – wie, wird erst am Ende dieses Textes verraten…

 

Doch die legendären Digedags stehen in würdiger Reihe Schulter an Schulter mit heute leider und zu Unrecht in der Vergessenheit versunkenen Enthusiasten des Phänomens „Perpeh“, wie der Schriftsteller Paul Scheerbart das nimmermüde mythische Maschinenwesen nannte, das von der Physik insbesondere im Namen der Thermodynamik für unrealisierbar erklärt wurde – von Scheerbart zu Beginn seiner eigenen Experimente mit forciertem Widerspruch quittiert.

 

Die Physik mag eine sehr schwierige Sache sein. Das berechtigt aber keinen, dummes Zeug auf dem Gebiet dieser herrlichen Wissenschaft zu behaupten und zu glauben. Außerdem erkläre ich Ihnen, daß ich noch keinen Techniker kennen gelernt habe, der nicht im geheimen ein Perpetuum mobile zu erfinden versucht hätte, lässt Scheerbart einen Laboratoriumsdirektor bekennen.

 

Die Zahl der über die Jahrhunderte konstruierten Perpetui ist Legion, und neben seriösen, doch leider sieglosen Grüblern und Tüftlern zogen auch gerissene Gaukler und schlitzohrige Scharlatane gutgläubigen Menschen damit eine Menge Geld aus der Tasche.

 

Von den namentlich bekannt gewordenen Opfern des Molochs Mobile ist das wohl prominenteste der geniale Künstler und visionäre Erfinder Leonardo da Vinci, der bereits als 28-jähriger eine Reihe von Perpetua mobilia entwarf, an deren Funktionstüchtigkeit er jedoch ernsthafte Zweifel hegte. Kommentar:

Oh, ihr Erforscher der unaufhörlichen Bewegung, wie viele eitle Hirngespinste habt ihr geschaffen bei dieser Suche!

Gesellt euch also lieber zu den Goldsuchern!

 

Ende des 17. Jahrhunderts beackerte der Bischof von Chester dasselbe Feld; in seine Fußstapfen trat Mitte des 18. Jahhunderts der Mathematiker Bernoulli. Und Zar Peter der Große war nur wenig zuvor so fasziniert von einem damals gerade im Auftrag des Landgrafen von Hessen-Kassel durch den Erfinder Beßler, der sich Orffyreus nannte und mittels Vorführung seiner Schöpfung für den Rest seines Lebens ausgesorgt hatte, neu entwickelten Perpetuum mobile, dass nur sein kurz darauf eingetretener Tod ihn daran hindern konnte, es persönlich vor Ort in Augenschein zu nehmen. Aufgedeckt wurde der Schwindel – so meinen böse Perpeh-Gegner – durch einen Ehekrach, da es Frau Beßler offenbar leid war, tagaus-tagein hinter einer Wand versteckt mittels einer feinen Schnur das Rad des PMs in Gang zu halten, während der Haushaltsvorstand vorn den Beifall einheimste.

 

Doch auch die Gegenwart ist nicht frei von enthusiasmierten Erfindern, die mit ihrer Obsession sich an den Rand des Wahnsinns und ihre Familien und Freunde sukzessive in den Ruin treiben: Beim deutschen Patentamt gehen alljährlich Dutzende neuer Entwürfe ein und halten damit eifrige Patentprüfer perpetuierlich auf Trab – und vermutlich ist das im Rest der Welt nicht anders.

Perpetuum, Perpetuum, du treibst mich ins Delirium …!

Und wer weiß, ob nicht doch eines Tages …? Es heißt schließlich, mit jedem Rückschlag käme man der Lösung näher – wenn nur die Neugier bleibt, als entscheidender Energiestoß!

Schließlich – wie ist eigentlich die Welt entstanden, dieses wahrhaftige jahrmillionenalte Perpeh?

Paul Scheerbart, der deutsche Autor des frühen 20. Jahrhunderts, der vor fast 100 Jahren – von Geistesgrößen wie Richard Dehmel und Erich Mühsam wie auch anschließend vom Verleger Ernst Rowohlt wohlwollend begleitet, drei Jahre lang mit anscheinend ebenfalls nie erlahmender Energie versuchte, ein Perpetuum mobile zu konstruieren und diesen Prozeß anschließend in einem genialisch von Idee zu Idee springenden Tagebuch kommentierte, wird immer wieder auf das Grundproblem des PM oder Perpehs zurückgeworfen, was er selbstironisch kommentiert:

Perpeh ist fertig; es bewegt sich nur noch nicht – für ein Perpetuum mobile offenbar ein Nachteil. Aber er bleibt zunächst optimistisch:

Ich sagte mir: die Anziehungskraft der Erde ist eine perpetuierliche, und diese perpetuierliche Anziehungsarbeit lässt sich durch aufeinander gestellte Räder in perpetuierliche Bewegung umsetzen. Dass jeder Physiker widersprechen würde, wußte ich sehr genau. Aber darin bestand ja ein Hauptreiz für mich. Die Physiker waren mir immer verhaßt. Was ging mich Robert Mayer – und das Gesetz von der Erhaltung der Energie an?

schreibt er wenig später in seinen Aufzeichnungen, die alle Höhen und Tiefen seines unermüdlichen perpetuierlichen Ringens fixierten.

Seine Visionen schildern eine von Licht durchflutete Welt der Zukunft nach der Erfindung des PM – bis hinunter in die Tiefen des Wassers,

das ja so durchleuchtet werden kann, dass die Fische gar nicht aus dem Staunen rauskommen könnten. Was nur die anderen Planetenbewohner dazu sagen werden, wenn sie die Nachtseite der Erde so fabelhaft erleuchtet sehen! Das muß doch ein Ereignis in unserem Sonnensystem genannt werden! Schließlich brauchen wir die Sonne gar nicht mehr …

Wenn das keine Motivation für den ungebändigten Forscherdrang ist!

 

Leise aufkommende Zweifel sind nur der Stachel, wider den nun erst recht zu löcken sein muss:

Wie ich lachen werde wenns geht…

Aber vielleicht lach ich auch nicht.

 

Aber wenngleich Scheerbart wie allen seinen Gesinnungsbrüdern bisher auch die konkret dinglich-materielle Lösung des Problems Perpeh zeitlebens versagt bleibt, so gelangt er doch an die Pforten höherer perpetuierlicher Weihen und Weisheiten mit der letztendlichen Erkenntnis, dass die Welt in ihrer Gesamtheit – und pars pro toto die einzelnen Naturelemente in ihren zahlreichen Erscheinungsformen und Metamorphosen – doch zwingend ein ungeheures Perpetuum mobile sein muß, wenn sie denn doch schon so lange scheinbar ohne jeden erneuten Energiezufluss existiert und existiert und existiert und fort – und fort- und fortexistiert und sich dreht, dreht, dreht, dreht in ihrer heutigen und möglicherweise manch anderer zukünftigen Gestalt.

 

Und so schließt er den Kreis seiner perpetuierlichen Gedankenwelt mit den wahrhaft prophetischen Sätzen:

Ich glaube, es wird nicht lange dauern – und man wird dem Physiker klipp und klar erklären: „Machen Sie sich mit ihren Naturerklärungsversuchen nicht weiter so mausig. Das wirkt nur komisch. Wir kennen die Naturgesetze gar nicht.

Und darum sollten wir den kolossalen Naturphänomenen etwas respektvoller entgegentreten.“

Und manche Vision Scheerbarts ist von der aktuellen Realität überholt.

Die Kunst hingegen hat – außer in der Musik, etwa mit beeindruckend virtuosen kleinen Kompositionen von Paganini oder Schubert – die ungeheuerliche, schier unglaubliche Geschichte des Perpetuum mobiles – eine Geschichte von der Kraft menschlicher Fantasie – bislang schlichtweg ignoriert – bis auf den heutigen Tag.

 

Doch nun wird der Schleier des Vergessens konsequent herabgerissen. Mit gnadenloser Ernsthaftigkeit widmet sich der Fotograf Jörg Behrens in kongenialen Ablichtungen mikro- und makrostruktureller Gegebenheiten aus Natur und Naturnachbild, Architektur und Technik dem Geist des noch immer als körperliche Schöpfung aus Menschenhand ungeborenen, doch als Idee und Naturphänomen ohne Zutun des Menschen längst wahrhaft weltbeherrschenden Perpetuum mobiles – und erschafft ein eigenes ebensolches, mit uns allen als Insassen und Bestandteilen desselben, in dem wir uns drehen und wenden können wie die legendäre Maus im Laufrad, von der zwangsläufig noch die Rede sein wird. Er hat dafür ein ganz einfaches Rezept – frei nach Altmeister Karl Blossfeldt, dem bahnbrechenden Naturfotografen.

 

Man nehme: pfundweise sensible Sinne, eine Handvoll Ernsthaftigkeit und Engagement, ein Kilo Fantasie, einen Scheffel Mut und ein Quentchen Experimentierlust – und gebe alles in einen gut verrührten Fond aus Handwerk und Kunstwillen, würze scharf nach mit einem Teelöffel Ironie und einer Prise Sarkasmus, lasse das Ganze heftig aufkochen, dann leise köcheln und füge unter stetigem Rühren ein Gran fotografisches Genie und eine Messerspitze feingehackter Schlitzohrigkeit hinzu, lasse alles schnell abkühlen, bis es zu einer pasta- respektive gummiartigen Masse geronnen ist, und stürze es anschließend in die Form einer Exposition, jedoch nicht ohne zuvor zur Verkostung einige Scheibchen Katalog abzusäbeln.

 

Was das Gebräu besonders bekömmlich macht, sind typisch Behrenssche Ingredenzien: ein grafisch motiviertes Gespür für strukturell begründete Texturen, klare und überzeugende Positionen zur Stringenz und Transparenz von Kompositionen, humoreske Souveränität im Umgang mit der hintersinnig bizarren Ambivalenz menschlicher Bildzeichensprache und die qualitätsbewusste Konsequenz einer perfektionsorientierten Realisierung.

 

Fast mit Gewalt stößt Behrens uns in die anstrengende Freiheit eigener Rezeptionsstrategien: Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, immer neue Kombinationen von Text und Bild und Bild und Bild zueinander fügen und erleben so durch ungewohnte Gedankensprünge quer über die Felder unserer Erfahrungswelten ungeahnte geistige Impulse, die Fantasie und Kreativität gewaltig auf Trab bringen.

 

Perpetuum, Perpetuum, du wälzt mein Großhirn um und um

Als die Gedankenmühle – Perpetuum mobile!

Und eh man Schlechtes von mir spricht,

folgt nun zum Abschluss ein Gedicht

Der Kenner still die Augen schließt,

die Ohren spitzt und stumm genießt

die Worte höchsten Ruhms

für die Perpetuums.

Denn wenn auch Scheerbarts Leiden endlich,

so war es doch für uns verwendlich

als Quelle für den Hochgenuss

von Kunst in Form der Rätselnuss

– nach Nudel und nach Gummi –

von dem Perpetuummi.

So lauschet einer Hymne jetzt,

die manche Regel wohl verletzt,

mit der man Poesie beschränkt;

der freie Geist jedoch, er denkt

viel lieber andersrum –

wie das Perpetuum.

Und darum öffnet voller Huld

das Ohr und zeiget viel Geduld,

so lange noch das Rad sich dreht,

danach ist’s sowieso zu spät.

Zu Scheerbarts und zu Behrens Ruhm:

Es lebe das Perpetuum!

 

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm.

Beflügelt von der Hoffnung Macht,

Auch wenn die Welt der Feinde lacht!

Denn blass wird schnell die Schar der Neider:

Es dreht sich trotzdem immer weider!

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm!

Die Welt erzittert bis zum Grunde

Nach jeder neuen Wunderrunde,

Und es zerbröseln Stück für Stück

Die Urgesetze der Physik!

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm!

Und fragt sich auch ein jeder: Wie

Kriegt dieses Vieh die Energie?

So schart zugleich der Klub der Fans

Sich um dies Werk voll Transzendenz.

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm!

Bis dass in dunkelfinstrer Nacht

Die Maus sich auf den Heimweg macht

Aus ihrem Laufrad still und leise,

Wo fleißig rannte sie im Kreise …

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm!

Doch wir beschließen messerscharf,

Dass nicht sein kann, was nicht sein darf!

Sah irgend jemand eine Maus?

Na also! – Und das Lied ist aus.

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm!

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm!

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm!

Das mobile Perpetuum,

Es dreht sich ‚rum und ’num und dumm!

Rum und num und dumm

Und num und dumm

Und dumm dumm dumm …

Doch seht mal da: Es wackelt noch!

Unglaublich: Es bewegt sich doch!

Und tut die große Wahrheit kund:

Im Leben läuft nicht alles rund,

Doch dreht sich’s weiter ‚rum und ’num

Das mobile Perpetuum!

Wenn auch in unsern Träumen jetzt …

Naja, die Hoffnung stirbt zuletzt!

Fiktiv nur auf dem Grab der Stein

Und eine Inschrift auf Latein.

Sie reimt sich nicht, doch ist antik –

verhilft Perpeh zum letzten Sieg:

 

Freunde! Römer! Landsleute: Ceterum censeo, Perpetuum mobile esse! Quod erat demonstrandum!

 

Oder zu deutsch: Ein Mops kam in die Küche ….

 

Erfurt, 09.10.03 | Dr. Jutta Lindemann