Konstanze Trommer

Künstler und andere Subjekte

Begrüßung zur Vernissage in der Galerie Waidspeicher des Kulturhofs zum Güldenen Krönbacken Erfurt am 15.11.2003

Betrachtet man den künstlerischen Weg der Erfurterin Konstanze Trommer, so scheint es, als hätte man mit vollen Händen aus den sagenhaften Schatztruhen des Grafen von Monte Christo geschöpft: Da funkeln brillante Bildideen, schimmert sanft die Sensualität des Materialgefühls, glitzert geschliffener Witz der grafischen Formulierungen, und das alles doch immer über den dunklen Tiefen ernsthafter Auseinandersetzung mit dem Abenteuer Leben wie auch mit dem ganz besonderen Stück Leben, das wir Kunst nennen.

 

Dieses Selbstzitat aus einer Laudatio des Jahres 1999 sei mir erlaubt, denn ich meine, das Gesagte hat noch immer Gültigkeit. Aber meine Aufgabe heute ist eine andere, so wie natürlich das Gezeigte anders ist als das, was damals zu sehen war, auch wenn es zumindest zeitlich nahtlos anzuknüpfen scheint an die damalige Exposition in der Artothek der Bibliothek am Domplatz.

 

Denn die beiden Bildserien, die ab heute hier innerhalb der Personalausstellung vin Konstanze Trommer unter dem Titel „Künstler und andere Subjekte“ im Erdgeschoss der Galerie Waidspeicher des Kulturhofs zum Güldenen Krönbacken in einer Auswahl vorgestellt werden, sind nacheinander zwischen 1999 und 2003 entstanden und stellen somit markante Wegzeichen ihrer künstlerischen Entwicklung dar, die vielleicht einen Höhe- aber keinesfalls einen Endpunkt erreicht hat. Und immer hat in diesem Oeuvre das große Format dominiert, das souverän den Raum besetzt, möge er auch von so eigenwertiger Wucht sein wie dieses charaktervolle historische Gemäuer, das sich seiner aktuellen Aufgabe als Galerie zwar immer wieder stellt, aber nie unterordnet und daher mit kraftvollen Kunstobjekten als ebenbürtigen Partnern immer wieder neue kämpferische Marriagen eingeht, die stets aufs neue überraschende Metamorphosen seines architektonischen Ausdrucks zur Folge haben.

 

Große Bilddimensionen mobilisieren große Energien, wie sie entweder großer Freude oder großem Zorn entspringen – oder beidem zugleich wie vermutlich bei Konstanze Trommer, die bereits in den inzwischen weit zurück liegenden Jahren ihrer intensiven Auseinandersetzung mit textilen Werkstoffen und Techniken immer wieder – im Gegenspiel zur minutiösen Detailliertheit wie etwa bei textur- oder linienbetonter Stickerei und Grafik, aber auch grafisch fein formulierten industriellen Textildessins – die große Geste suchte und fand: vor fast zwanzig Jahren in perfekt ausgeführten raumhohen plastischen Applikationen mit mythisch-abstrakten Bildinszenierungen etwa oder in tachistisch spontaner schroffer Pinselzeichenschrift auf wandgroßen seidenen Fahnen – oder noch vor wenigen Jahren in einer Begegnung beider Positionen in scheinbar lässig und wie zufällig, doch wahrhaft wohlüberlegt gefügten Collagen.

 

Doch nicht nur die gewaltigen Dimensionen und großzügigen Kompositionen, sondern auch eine durch die genutzten bildnerischen Techniken zwar modifizierte, doch immer wieder dominante Texturiertheit der Oberflächen unterstützt alle Arbeiten dabei, sich gegen die Nachbarschaft der ebenfalls texturintensiven Materialsprache dieser Räume durchzusetzen – vielleicht auch dies ein wohlgehütetes Erbe aus Textilzeiten.

 

Konstanze Trommer leugnet zwar nicht, Absolventin der halleschen Burg Giebichenstein zu sein, die wieder oder noch immer und hoffentlich auch noch lange eine international renommierte Ausbildungsstätte für Gestalter aller Genres vom Industriedesigner bis zum bildenden Künstler darstellt.

 

Aber sie hat den Tellerrand des Berufsbildes Textildesign, dem sie lange Zeit in ihrer Tätigkeit für den damaligen VEB Modedruck Gera folgte, von Beginn an immer wieder nicht nur überblickt, sondern auch erfolgreich übersprungen, ohne die spezifische Sensualität des textilen Metiers und die Erfahrungen des gut organisierten Designerhandwerks über Bord zu werfen.

 

Manches ist aufmerksamen Erfurtern noch vertraut, das an diese Wurzeln erinnert: die Stickbilder zu russischen Märchen beispielsweise, die im ehemaligen Restaurant des ehemaligen Kultur- und Freizeitzentrums Moskauer Platz jahrelang die Gäste in magische Welten versetzten und seit einiger Zeit in einem Erfurter Altersheim die Phantasie der Bewohner lebendig halten, oder die schon benannten plastische Seidenapplikationen mit ihren skurrilen Szenerien zwischen Alptraum und Welttheater – sarkastisch-satirisch, lustvoll-sinnlich, expressiv und dynamisch im wirbelnden Tanz kontrastierender Formen und Farben, Strukturen und Texturen, Zeichen und Symbole. Und viele kennen auch noch eine Folge grafisch formulierter Drucke mit sanften märchennahen Motiven in magischen Blautönen, im Rahmen eines Künstler-ABM-Projekts der Stadt Erfurt Anfang der 90er ebenfalls für ein Seniorenheim entstanden, deren fließende Handschrift spürbar an den Umgang mit den flexiblen und zugleich sinnlichen textilen Werkstoffen anknüpft.

 

Doch in den letzten Jahren verdrängten Schritt für Schritt die Grafikerin und schließlich die Malerin die Textilgestalterin in der multiplen Persönlichkeitsstruktur der Künstlerin, wenn auch zum Glück nicht ohne Spuren im aktuellen Oeuvre zu hinterlassen – was angesichts der Resultate unbedingt legitim erscheint.

 

Die Wege innerhalb ihres Schaffens – das verdeutlichen auch die getrennten Ausstellungsbereiche des Unter- und des Obergeschosses – scheinen sich stärker als bisher in zwei unterschiedliche Richtungen zu gabeln, eine figürlich-konkrete und eine experimentell-abstrakte, die im sensiblen Zusammenklang leuchtstarker Farbflächenmalerei vor allem in der meditativen Ruhe des Obergeschoss-Raumes zu erleben ist – neben von den Möglicheiten der von Computertechnik inspirierten technoiden Texturmodulationen bestehen lässt – vorgestellt in architekturbezogener Aufgabenstellungen im Foyer.

 

Doch all diese Wege treffen im Fadenkreuz der Faszination von fragil und porös strukturierten Flächen aufeinander, die durch transluzide Überlagerungen oszillieren und dadurch Situationen und Personen vielschichtig charakterisieren.

 

Wie in Trance und doch bei hellem Bewusstsein und klarem, präzisem Verstand scheint Konstanze Trommer – sicher zur Freude des alten Freud – reale und virtuelle Begegnungen des Alltags aufzuarbeiten – und so taucht da wohl auch so manche Leiche aus den Kellern ihres eigenen Herzens auf, die in der magischen Zone des Bildraums so lange hin und her gewendet wird, bis alles Unbewältigte wie ein endlich erlöster Geist sich an der Grenze von Blattrand und Unendlichkeit ins Nichts des (fast) endgültigen Vergessens und Vergebens auflöst.

 

So gilt vermutlich auch noch immer, was im Werkkatalog von 1995 steht:

 

Zu spüren ist aber auch immer neben allen Besonderheiten und Feinheiten jeder Technik, jedes Genres, die immer neu erobert werden wollen, ein deutlich und eindeutig formulierter Gestalt- und Gestaltungswille, der eigentlich nichts mit Materialien oder Arbeitsvorgängen zu tun hat, wohl aber viel mit einer sehr individuellen, fast zornigen Empfindsamkeit für die Dinge des Lebens mit all ihrer Phantastik, Mystik und magischen Kraft, eine verhaltene, fast herbe, immer wieder streng gezügelte und doch unbezwungene Sensibilität, die Konstanze Trommer ganz unverwechselbar eigen ist.

Und so verbindet alle Arbeiten Konstanze Trommers

… dieser Ausdruck ihres starken Kunstwillens – der ebenso aber auch Ausdruck ihrer Ängste, ihrer Verletzungen, ihrer Trauer, ihres Glücks, ihrer Wut und ihres Mutes ist.

 

Und ein weiterer nicht unerheblicher Aspekt:

Vielleicht muss man nun auch gar nicht mehr sagen, dass Musik und Tanz Konstanze Trommer täglich begleiten – die Rhythmik ihrer Bildkompositionen legt davon ebenso Zeugnis ab wie die sich differenzierende Tonskala ihrer Farbklänge.

Sie selbst hat sich seit einigen Jahren schrittweise ihre neuen Wege erschlossen, ihrem Instrumentarium nach Nadel und Schere, Stift und Pinsel nunmehr als weiteren Zauberstab den „Mouse-Pfeil“ hinzugefügt, und ihre magischen Formeln heißen nun „Photopaint“, „Thermodruck“ und „Digitalprint“. Geblieben oder besser wiederaufgetaucht aus der alten Schatztruhe mit der Aufschrift „Textil“ ist die weiße Seide – als lebendig beweglicher, hautartiger Fond auch ein bewusster Widerpart zum scheinbar Mechanischen der technischen Produktion und Reproduktion .

 

Doch Konstanze Trommer setzt gerade in dieser gründlich erarbeiteten und durchkonzipierten Ausstellung – ihrer ersten großen Erfurter Personalausstellung in öffentlichen Räumen, die sie sich in ihrer Heimatstadt inzwischen mehr als verdient hat – auch dem Digitalen, Medialen, das langfristige Steuerung nach einem genau kalkulierten künstlerischen Konzept erfordert, immer wieder die Spontaneität der Linie und des Flecks frei aus der Hand heraus, der kaum gezügelten Emotion, der Intuition des Augenblicks folgend, entgegen.

 

Die Reise auf Traumpfaden ins unerschlossene, nie ganz zu erobernde Outback der worldwide wilden Welt der Kunst beginnt auch deshalb, in all dieser Widersprüchlichkeit, die doch vor allem ein Reichtum ist, täglich neu, malerisch und mörderisch, voll Mut und Wut, um das Neue zu gewinnen, ohne das Alte zu verlieren – und in einem kurzen Zwischenstopp auf diesem Weg hat Konstanze Trommer ihre ganz persönliche künstlerische Spiritualität dem Genius loci dieses Hauses kongenial als Reisegefährten zugesellt.

 

Und vielleicht wäre sogar noch immer Hermann Hesse dabei ein guter Reiseführer:

Die Wirklichkeit ist das, womit man unter gar keinen Umständen zufrieden sein … darf … Und sie ist … auf keine andre Weise zu ändern, als indem … wir zeigen, dass wir stärker sind als sie.

 

Erfurt, 14.11.2003 | Dr. Jutta Lindemann