Lindas Pixelwelten

Miniaturen vom Tablet(t)

Ausstellung in Erfurt-Tiefthal –Vernissage am 8.6.2013, Laudatio von Dr. Monika Besser

Ich begrüße Sie zur Ausstellungseröffnung von LINDA, die heute im Bürgerhaus von Tiefthal ihre zweite Ausstellung hier in diesem Ort eröffnet. Vielleicht erinnern Sie sich: „Kunst beim Nachbarn“ nannten wir ihre erste kleine Präsentation zum 11. Kunstfest in diesem Jahr.

Viele Besucher kamen und staunten, über die unerschöpfliche Fülle an Ideen, über die intensive Farbigkeit und vor allem über die Erklärungen zum Gestaltungsprozess, die Bewunderung, aber bei vielen auch ratloses Kopfschütteln (als Zeichen für „Das verstehe ich nicht!“) hinterließen.

 

Noch vor 20, 25 Jahren hätte ich mir auch nicht vorstellen können, eine Ausstellung mit Computergrafik zu eröffnen, geschweige denn von einer Freundin.

Der Computertechnik stand ich sehr skeptisch und sehr kritisch gegenüber, ohne damals zu ahnen, dass kurze Zeit später der Computer auch für mich zu einer nicht mehr verzichtbaren Quelle für Informationen, für Ideen und Anregungen, für Austausch und Unterhaltung werden würde. Und für viele, wie für LINDA, eben auch ein Instrument zur Erstellung von Kunstwerken.

 

Die einen malen und zeichnen, radieren und drucken, schneiden und kleben – oder aber sie pixeln, wie ich diese Technik mal nennen möchte.

Doch – unser heutiges Leben ist durchdrungen von Computerkunst.

Die Computerkunst verändert auch unser unmittelbares Umfeld – die Städte und Orte, in denen wir leben.

In der Architektur z. B. ermöglicht die digitale Zeit Bauformen, die nur ein Computerhirn zu berechnen vermag, und Visualisierungen, die uns nie gesehene künstliche und künstlerische Parallelwelten eröffnen.

Auch die Musik ist, spätestens seit „Kraftwerk“, im digitalen Zeitalter angekommen.

Ich habe mich in diesem Zusammenhang etwas belesen müssen – ich habe also Computerkunst gegoogelt.

In den 1960er und 70er Jahren beherrschten Großrechner das Geschehen, und die Software-Künstler dieser Tage waren meist Naturwissenschaftler, Mathematiker, Physiker, Ingenieure – dieser ausgewählte Kreis von Menschen, die Zugang zu Großrechnern hatten.

Die Zeit der Computerkunst begann, überspitzt von mir ausgedrückt, als die ersten Computermenschen ein Kunstbewußtsein entwickelten und selbst programmierte Werke erstmals in Ausstellungen zeigten. Der Eintritt in die Kunstwelt fand offiziell 1965 statt – in diesem Jahr wurden in Stuttgart und New York die ersten Computerkunst-Ausstellungen gezeigt.

Und wie das klingt: Nun auch schon zum zweiten Mal in Tiefthal!

 

Der Begriff Computerkunst führte seinerzeit zu großen Irritationen.

In der Kunstwelt stieß die Digitale Kunst teils auf deutliche Ablehnung.

Manche fürchteten, dass hier eine Maschine den kreativen Kopf eines Künstlers ersetzen würde – und noch schlimmer: Es schien, als drängten sich Naturwissenschaftler wie Aliens in die Kunstwelt.

Heute ist es endlich unumstritten: Hinter jeder digitalen Schöpfung steckt ein kreativer Menschenkopf, der den Computer als Werkzeug benutzt, ob man ihn nun Software-Autor, Anwender oder Künstler nennt.

Ich versichere Ihnen, dass LINDA so ein kreativer imd intelligenter Kopf ist, dass sie auch malen kann und andere künstlerische Techniken beherrscht – theoretische als auch im praktischen Tätigsein. Warum sie jetzt ausgerechnet der Computerkunst regelrecht verfallen ist, mag sie dann selbst noch erklären.

Ich sehe, dass die Computerkunst die Möglichkeiten und das Verständnis von Bildgestaltung enorm erweitert:

– Koordinaten verschieben sich, Drehungen und Verzerrungen sind möglich,

– ebenfalls Spiegelungen,

– Überlagerungen und Überdeckungen,

– und das Spiel des Zufalls ist dabei nicht zu verkennen,

aber der PC beherrscht das Arbeiten nicht. Denn im richtigen Moment des Arbeitens innezuhalten und zu sagen: „Das ist es jetzt!“ – das ist die Kunst.

Alle, die selbst künstlerisch arbeiten, wissen, wovon ich rede.

 

Der „Zeichenvorgang“ – ich will all ihre Arbeit am PC oder besser am Grafiktablet einmal so nennen – ist gewissermaßen auch ein großes Experiment.

Warum? Weil die visuellen Ergebnisse erst einmal überraschend sind. Entspricht allerdings dieses Ergebnis nicht ihren Erwartungen, oder kann sie sich vorstellen, dass es noch anders geht, wird alles weiter bearbeitet. Sie spielt mit Licht und Schatten, lässt Zweidimensionalität und/oder scheinbare Dreidimensionalität erscheinen, nimmt Unschärfen in Kauf … und, und, und …

Und da der Möglichleiten viele sind – sind auch der Bilder viele.

 

Allein aus der Reihe der „Tiefthalspiralen“ gibt es wohl tausend Variationen, hier reduziert auf nur vierzehn. Es ist so, als hätte eine Mutter (so nennt sie selbst das Ausgangsbild) viele Kinder, vielleicht sogar Enkel und Urenkel. Die müssen der Mutter durchaus nicht mehr ähnlich sein, zumindest auf den ersten Blick.

So erinnern mich diese Blätter an den Surrealismus, an fraktale (mathematische) Kunst und an poetisch-lyrische Betrachtungen, auch wenn man ihre Bildtitel mit in die Betrachtung einbezieht.

 

Schwerpunkte ihrer abstrakten digitalen Bildkompositionen sind FARBE, SUBJEKTIVE WAHRNEHMUNG und EMOTIONEN, oftmals sogar malerische Qualitäten.

Grundlage ihrer Arbeiten sind (fast) ausschließlich eigene Fotografien oder eigene am PC entstandene „gemalte“ Bilder. So ist jedes Ausgangsbild (die Mutter) die Quelle eines Bilderflusses, in jedem Stadium weiterverwandelbar zu immer neuen Bildern – vom Chaos zur Harmonie und wieder zurück.

Genau in dieser Gegebenheit liegt das Einzigartige ihrer Kunst.

Welcher Maler oder Bildhauer kann schon sein Kunstwerke beliebig oft komplett verändern bzw. immer weiter entwickeln? In der Druckgrafik geht das vielleicht, aber auch nur bedingt. Der Computer geht dabei über die Rolle des Werkzeugs im klassischen Sinne hinaus und kann das Ergebnis in selbst für den Künstler nicht vorhersehbarer Weise beeinflussen.

 

Beenden möchte ich meine Gedanken mit einem Satz von Heraklit (Philosoph 400 v. Chr.), der wie für ihre Arbeitsweise gedacht scheint: Alles bewegt sich fort, nichts bleibt.

Oder anders gesagt: Pantha rei – Alles fließt.

Dieser Gedanke ist für LINDA ein wichtiger Hintergrund ihrer Kunst, da er ein wesentliches Merkmal dieser Welt und allen Seins ist.

 

Erfurt-Tiefthal, Juni 2013 | Dr. Monika Besser