Forum Konkrete Kunst Erfurt – Schließung im Oktober 2016?

Forum Konkrete Kunst Erfurt – Schließung im Oktober 2016?

Auch nach Berentung kein bisschen weise und ruhiger geworden, also weiterhin interessiert und engagiert für die kulturelle Entwicklung meiner Wahl-Heimatstadt Erfurt – so auch als Mitglied des Fördervereins Forum Konkrete Kunst e. V. – bin ich entsetzt und empört nicht nur über die Vorgänge um die Galerie Waidspeicher im Kulturhof Krönbacken, sondern auch über das Vorhaben der Stadtverwaltung, das FORUM KONKRETE KUNST künftig aus der Peterskirche zu verbannen.

Quo vadis, Kunst? Quo vadis, Erfurt?

– Ein Statement –

Angetrieben von der Begeisterung über die Öffnung des Eisernen Vorhangs entwickelte 1992 der deutsch-polnische Künstler Jürgen Blum-Kwiatkowski zusammen mit internationalen Künstlerfreunden und der Erfurter Architektin und Mitarbeiterin der Erfurter Kulturverwaltung Heidi Bierwisch, die später von Seiten der Stadt die Verantwortung für das Forum erhalten sollte, die Idee, an historischer Stätte im Herzen des neu gewonnenen Europas, in der romanischen Peterskirche zu Erfurt, Künstler und Kunst aus Ost- und Westeuropa zusammenzuführen, die eine übergreifende Grundkonzeption wie eine gemeinsame Sprache verbindet: in einem lebendigen Museum der Konkreten Kunst.

Schon vor Generationen zogen nicht nur Soldaten, sondern Kaufleute, vermutlich aber auch Forscher und Künstler auf der Suche nach neuen Begegnungen, Erfahrungen und Erkenntnissen quer durch Europa und schufen damit Wege und Straßen wie die berühmte Via Regia, die bis heute Spuren in Erfurt hinterlassen hat.

Sie ließen sich auch durch immer wieder wechselnde Grenzen nicht aufhalten – ihre Mission war wichtiger als willkürlich und meist unfriedlich entstandene regionale Machtbereiche.
Ein wesentliches Ziel von Kunst ist es seit jeher, jede Art von Grenzen zu überwinden, um neue Gedanken, neue Wahrheiten zu entdecken.

Daran hat sich – zum Glück – bis heute nichts geändert.

Doch es war nicht nur die Begegnung miteinander, sondern auch die mit einer Architektur, die sich ihrer Sprache – der Reduktion auf das Wesentliche – ihren Intentionen öffnete, weil die geistige Nähe ihrer Schöpfer zu gerade dieser Kunst unübersehbar war – und ist.

Wie jeder Besucher auch heute noch waren alle Künstler sofort überwältigt und inspiriert von der spirituellen und ästhetischen Ausstrahlung der kristallinen Tektonik dieses Hauses, unter dessen Dach sie sich zusammenfinden sollten.

So nahmen die Dinge ihren Lauf und schrieben bis heute weit mehr als regionale Kulturgeschichte:
Im Auftrag des Erfurter Kulturamtes und in Abstimmung mit dem Erfurter Amt für Denkmalschutz kam es nach Vorlage des Konzeptes für eine Sammlung Konkreter Kunst beim Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst – zu dieser Zeit Eigentümer der Immobilie Peterskirche – zu einem Vertrag zwischen dem Freistaat Thüringen und der Stadtverwaltung Erfurt zur Nutzung der Peterskirche für eine ständige Sammlung Konkreter Kunst.

Die Stadt bzw. in deren Vertretung das Kulturamt konnte das Erdgeschoss für die Sammlung mietfrei nutzen und übernahm dafür die Gebäudeverwaltung und das Veranstaltungsmanagement für das ganze Haus bei Fremdeinmietungen. Außerdem wurde der nun FORUM KONKRETE KUNST genannten avisierten Sammlung Chor und Querschiff im 1. OG der Kirche für zusätzlich zwei temporäre Ausstellungen pro Jahr zur Verfügung gestellt – alles als denkmalgerechte Kaltraumnutzung.

Dieser Vertrag wurde 1995 mit gleichen Modalitäten von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (Sitz Rudolstadt) übernommen, der die Immobilie zur Verwaltung überantwortet wurde.
Und dann war es soweit: Nach drei Monaten und großem Engagement aller Beteiligten – mit Leib und Seele, kreativem Geist und auch nicht unerheblicher finanzieller Unterstützung von 115 Künstlern aus 16 Ländern Ost- und Westeuropas – öffnete sich am 11. Dezember 1993 im Beisein der meisten Künstler, begrüßt vom Oberbürgermeister, dem Kulturdezernenten, einem Vertreter des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, dem Kurator Jürgen Blum-Kwiatkowski und dem namhaften Kunstwissenschaftler und Kurator Prof. Dietrich Mahlow aus Darmstadt die Tür zum FORUM KONKRETE KUNST in der Peterskirche. Mahlow sagte: „Die Kunst gehört zur Wirklichkeit unseres Lebens. Das zeigt diese Stadt mit diesem neuen Museum in einer Zeit, in der solche Wagnisse selten geworden sind …“

Die Kunst hatte neue Wege in und durch Europa gebahnt, parallel zur jahrhundertealten, auch Erfurt durchquerenden Via Regia, die in den Folgejahren rege genutzt werden sollten: Nach Gründung des Fördervereines FORUM KONKRETE KUNST e.V. im Januar 1994 wurden systematisch weitere Förderer auf Stadt- und Landesebene, selbst aus dem Ausland gewonnen, sodass auch mit dieser Unterstützung und der der Künstler selbst bereits 1995 ein Gesamtkatalog zur Sammlung mit Geleitworten von Dr. Gerd Schuchardt, dem Thüringer Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, und Manfred Ruge, dem Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, erscheinen konnte.

Das Forum wirkte und wirkt seither auf Bürger und Besucher mit der unvergleichlichen Symbiose von historischem Architekturraum und moderner Kunstsprache einschließlich stetigen Wechsels der als Leihgaben zur Verfügung gestellten Exponate der ständigen Präsentation. Temporäre Ausstellungen zeigten u.a.  Entwicklungen Konkret-Konstruktiver Kunst der einzelnen europäischen Länder, Dialoge von Kunst – Raum und Architektur in den Ausstellungsreihen KORRESPONDENZEN und DAZWISCHEN. Projekte wie „Licht und visuelle Texte“ oder „Die Kunst geht in die Stadt“ führten den Dialog auch in den städtischen Raum hinein. Legendär wurden bald die jährlich stattfindenden hochspannenden Kolloquien mit internationalen Künstlern und Referenten  zu theoretischen Fragen der Konkreten Kunst, dokumentiert in einer anspruchsvollen Schriftenreihe. Die davon ausgehenden Denkanstöße beeinflussen nicht zuletzt auch die künstlerische Bildung in der Region weit über Facheinrichtungen wie etwa die Erfurter Walter-Gropius-Schule oder die Fachhochschule Erfurt hinaus.

„Die Nutzung der Kirche durch die Kunstobjekte der Konkreten Kunst ist und bleibt für mich eine ideale und beeindruckende Einheit. Bei keinem Gebäude auf dem Petersberg ist es bisher so gut gelungen eine Nutzung auf so einmalige Weise zu implementieren. Der Dialog zwischen der romanischen Architektur und den Kunstobjekten der Konkreten Kunst findet sich in dieser Form nach meiner Kenntnis nirgendwo wieder, ein sehr beeindruckender und einzigartiger Ort.“
Prof. Michael Mann, Fachhochschule Erfurt, Dekan der Fakultät Architektur

Seit einiger Zeit begleitet zudem der Förderverein die Aktivitäten des Forums mit einer Website. Partnerschaftliche Kontakte und Austausch werden zudem zu anderen Orten der Konkreten Kunst wie Hünfeld, Ingolstadt, Würzburg, dem Mondrianhaus in den Niederlanden und sehr intensiv mit dem Landesmuseum Oberösterreich in Linz sowie den Gmundner Symposien gepflegt – ebenso wie Verbindungen zu Vertretern der Konkreten Poesie.

Man sollte wohl meinen, dass eine Stadt, ein Land sich glücklich schätzen müsste über die Gabe eines solchen, international hoch anerkannten Schatzes, dessen Pflege von Seiten der öffentlichen Hand im Verhältnis zur Ausstrahlung eines nur geringen finanziellen Einsatzes bedarf – wohl aber konstanter Akzeptanz und Anerkennung – auch wegen der aktuellen politischen Bedeutung einer solchen kulturellen Brücke innerhalb Europas.

Doch leider weit gefehlt! Nachdem die Faszination der Sammlung und ihrer Begleitprojekte überregional auch nach 23 Jahren bei kunstinteressierten Bürgern und Besuchern der Stadt ungebrochen ist, wie nicht zuletzt die Besucherzahlen und die Reaktionen in den Gästebüchern beweisen, und obwohl wie in anderen Kulturbereichen gerade in den letzten Jahren auch hier bereits kräftig gespart und reduziert wurde, hat sich die Erfurter Stadtverwaltung zu einem neuen Schritt mit weitreichenden kulturellen und voraussichtlich auch politischen Konsequenzen entschlossen, der bei allen, die dieses gerade durch seine konzeptionelle Selbstbestimmtheit stets lebendige Künstlermuseum mitgegründet, mitgetragen und mitgefördert haben, absolutes Unverständnis ausgelöst hat: Dem Förderverein wurde auf Nachfragen zur Weiterentwicklung des FORUM KONKRETE KUNST in einem Schreiben vom 26. April 2016  vom Oberbürgermeister überraschend mitgeteilt, dass man nach einer erforderlichen baulichen „Ertüchtigung“ anlässlich der Bundesgartenschau 2021 keine Dauerausstellung in der Peterskirche mehr wünsche, bekräftigt nachfolgend in einem Presseartikel durch die Auffassung des Kulturdirektors, dass dies auch niemals vorgesehen gewesen sei, da der Begriff FORUM das Temporäre impliziere. Da aus anscheinend arbeitsrechtlichen Gründen außerdem beabsichtigt ist, die zugeordneten Personalmaßnahmen nicht fortzuführen, steht somit eine Schließung Ende 2016 in Aussicht.

Nun würde sich niemand über weitere bauliche Verbesserungen, wie sie immer wieder behutsam durch die Stiftung initiiert wurden, mehr freuen als die Künstler des FORUMS, die von großer Achtung vor dem sie beherbergenden Bauwerk erfüllt sind.

Die Formulierungen des Oberbürgermeisters und des Kulturdirektors bezeugen jedoch mangelnde Kenntnis vom Gründungsgedanken und den Intentionen des FORUMs (ganz abgesehen von der tatsächlichen Bedeutung dieses Begriffs) und darüber hinaus erhebliche kulturpolitische Ignoranz.
Kann sich eine Stadt wie Erfurt mit reichen kulturellen Traditionen das wirklich leisten oder setzt sie damit nicht nur ein wichtiges Stück ihrer geistigen Zukunft, sondern auch den europäischen Gedanken aufs Spiel? Ist die Analogie zur Schließung des Bauhauses anno 1925 im benachbarten Weimar tatsächlich zu weit hergeholt?
Wo führt das hin? Quo vadis, Erfurt?

Die Möglichkeit, nach eventueller Zwischenlagerung, notfalls auch bei den leihgebenden Künstlern selbst, einen Wiedereinzug der hochkarätigen Sammlung im Anschluss an die Bauarbeiten verbindlich zuzusichern und das FORUM bereits jetzt langfristig in das BUGA-Konzept zu integrieren, wurde gar nicht erst in Betracht gezogen – dieses rigorose Vorgehen gegenüber international renommierten Künstlern und einem über zwei Jahrzehnte hoch engagierten Förderverein ist in keinem Punkt  nachvollziehbar – am wenigsten für all jene, die die unvergleichliche Kraft dieses komplexen Raum-Kunst-Erlebnisses einmal vor Ort erfahren konnten.

Vor einigen Tagen besuchte, wie mir von der Erfurter Gastgeberin mitgeteilt wurde, eine Schweizer Reisegruppe die Peterskirche und stand völlig baff inmitten dieses großartigen Wunderwerks aus einander durchdringender Bau- und Bildkunst.
Und dann machte einer der Besucher seiner unaussprechlichen Begeisterung Luft in einem Freudensprung …

Dr. Jutta Lindemann
Erfurt, 1. Juni 2016
Kunstwissenschaftlerin im VBK Thüringen
Mitglied des Fördervereins Forum Konkrete Kunst e. V.

Der Ilmenauer Künstler AMBECH präsentierte zur diesjährigen Langen Nacht der Museen an der Giebelfassade der Peterskirche sein „Auge der Vorsehung“, eine interaktive Lichtinstallation, mit den folgenden Worten auf einer Begleitkarte:

 

Glasscheiben des aus dem Stadtraum Berlins getilgten Palastes der Republik umrahmen den Einblick.
Findet die Aussicht hier Parallelen zur Zukunft der Kunst auf dem Petersberg?

 

„Das Auge der Vorsehung symbolisiert die sich stets enthüllende Wahrheit, fordert zu Weisheit auf und appelliert an das Gewissen. Über die Kausalität als Ursache-Wirkung-Prinzip repräsentiert es das Gute, welches das Böse stellt, um es zu besiegen.“ (Wikipedia)

 

Mit dem Auge sehen wir. Vom Auge werden wir gesehen. /
Seht selbst! Werdet gesehen!

Demonstation gegen den Kulturabbau in Erfurt

Fotos: Falco Behr, Sebastian Weinhold