Töne in Textil

Textil-Collagen von Monika Besser zu Lyrik von Ingrid Seyffarth

Vernissage mit Musik im Weißbachcafé zum Kunstfest Tiefthal am 10.06.2005

Zwei Hexen treffen aufeinander

Und fliegen ein Stück Wegs selbander

Die eine führt die Nadel prächtig,

Die andre zaubert Sprüche mächtig!

 

Da sagt die eine zu der zweiten:

Ach, laß mich Dich ein Stück begleiten,

Denn wenn wir unsre Kräfte einen,

wir beinah unbesiegbar scheinen!

 

Drauf sagt die zweite zu der ersten:

Mich deucht’s alleine auch am schwersten,

doch können wir die Kraft noch mehren,

wenn viele Hexen von uns hören!

 

Wir wollen nun nicht länger schweigen

Und diesen Trick den anderen zeigen!

Wenn Fadenzauber, Wortgewalt

Mit Tönen sich zusammenballt,

 

Wenn Farben dröhnen, Linien tanzen,

wenn Wörter wandeln sich zu Pflanzen,

wenn Lappen fügen sich zum Lied,

derweil ein Rhythmus Fäden zieht,

 

dann ist die Hexerei gelungen,

dann haben sie ein Bild gesungen,

dann haben sie ein Lied genäht,

auch wenn das scheinbar gar nicht geht!

 

Zwei Hexen fliegen durch die Nacht

Und haben dabei laut gelacht!

Die andern fanden’s auch ganz toll

Und waren sehr des Lobes voll!

 

Und seid ihr klug wie diese zwei,

erkennt auch ihr die Zauberei!

Dass Sehen, Sagen, Singen eint

Die Kunst, wenn man sie ehrlich meint.

(Jutta Lindemann)

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lachen sie noch heute, die beiden Hexen! Und wer Ohren hat zu hören, hört sie jetzt sogar dabei, sie sind nämlich hier!

Sie heißen Monikula, die Fadenfee, und Ingridentia, die Wortweise, und ihr gemeinsamer Besenritt hat allerlei Zauberwerk hinterlassen, von welchem sie einiges uns heute vorzuführen geneigt sind: Was beide am stärksten miteinander verbindet, ist, so glaube ich, der Blick für das, was zwischen den Zeilen, unter den Fäden, hinter dem Papier geschieht – nämlich das Eigentliche, das aus unserer Phantasie geboren wird.

 

Zur Tarnung kommen sie ganz schlicht daher: Die Gedichte reimen sich ganz klassisch und sind sogar singbar, die Geschichten, die erzählt werden, scheinen simpel und alltäglich auf den ersten Blick – wäre da nicht auf einmal so eine wehende Wehmut, so ein ziehender Sehnsuchtsschmerz, so ein dunkler Ton hinter, unter, über allem Gesagten – eine stumme Frage nach dem Ungesagten. Höre ich da ein wenig Heine? Auf jeden Fall einen Hauch Mascha Kaléko … den Klang der Zwischentöne.

Und auch die Bilder scheinen zunächst einfach nur schön, aus prächtigem Material freundlich und gefällig gefügt – sieht man jedoch genauer hin, hat die Idylle einen ziemlich löchrigen doppelten Boden, die Perfektion beginnt an den Kanten auszufransen, die Fadenspuren verwirren sich und führen zwar nicht in die Irre, aber in eine andere, eine Zwischenwelt.

 

Zwischen Gestern, Heute und Morgen, zwischen Licht und Schatten, Tag und Traum, Gut und Böse, Himmel und Hölle, Leben und Tod – zwischen allen Welten, zwischen allen Stühlen?

 

Textil bietet wie kaum ein anderes Material, eine andere Technik die Möglichkeit zur Vielschichtigkeit – vergleichbar vielleicht nur noch dem Aquarell, das wohl auch deshalb manches textile Werk ergänzt und erweitert, interpretiert und fortführt wie in einen andere Dimension der Schwerelosigkeit. Transparenz und Brüchigkeit der einzelnen Ebenen mit ihren vermeintlich perfekten Oberflächen sind Voraussetzung für Überlagerungen, wenn sie noch als solche erkennbar bleiben sollen. Textil kann man beim Betrachten öffnen wie ein Buch oder auch – durch gute oder böse Gefühle – ein Gesicht.

 

Die Textilkünstlerin Monika Besser lässt uns, inspiriert von der Dichterin Ingrid Seyffarth in ihrem Rücken, teilhaben an der Öffnung ihres persönlichen Seelengartens mit all seinen prachtvollen und mysteriösen Bewohnern, die da miteinander hausen, mal im Streit, mal in engster Verbundenheit: die himmelblaue Freundlichkeit mit der feuerroten Wut, die seidenfunkelnde Heiterkeit mit der samtmatten Trauer, die dunkle Angst mit der hellen Tapferkeit, die leinene Stärke mit der wollenen Sanftheit, die weiche Zärtlichkeit mit dem harten Hass.

 

Sie alle haben ihre Geheimnisse, und die enthüllen sich unter dem Licht unserer Aufmerksamkeit, das alles analysiert und mit den Resultaten zugleich versöhnt. Und wie in einem Garten die Dinge wachsen und welken, wie ihre eigene Natur und die leitende Hand der schönen Gärtnerin es ihnen eingibt, so scheinen die Dinge Monika Besser mit selbstverständlicher Leichtigkeit aus den Händen und aus der Seele zu wachsen.

 

Doch was so leicht aussieht, ist beileibe nicht immer mühelos.

Das ist nicht nur rein körperlich gemeint, denn Nadelarbeit macht bekanntermaßen Rückenschmerzen und müde Augen. Aber vor allem gilt es immer wieder, schmerzvoll das Innerste nach außen zu wenden – fast wie einen alten Mantel, der bis dahin verborgene funkelnde Kostbarkeiten offenbart wie das Mädchen Allerleirauh im Märchen unter seinem schützenden wilden Pelz. Doch sein Innerstes herzuzeigen macht zwar verwundbar, aber auch immer wieder aufnahmefähig für die Verletzungen wie auch für die Freuden der anderen, und diese Erfahrungen und Erlebnisse legen sich Schicht für Schicht unter die schöne Oberfläche jeder Bildes, um sich vom aufmerksamen, sensiblen Betrachter auch wieder Schicht für Schicht entdecken zu lassen – ein behutsames, schrittweise Erobern des Besserschen Seelengartens, zu dem sie uns das Tor einen Spalt breit geöffnet hat, so dass nur die hinein gelangen können, die sich darum bemühen und daher das Zauberwort kennen, das ihnen die Augen öffnet und sie die verschlungenen, teils schon überwucherten Pfade entlang tanzen lässt im Rhythmus der gleitenden oder springenden Fäden und Formen, geleitet vom kühlen oder heißen Klang der Farben.

 

Gelegentlich gibt es natürlich auch Wildwuchs über den Gartenzaun, die Nadel verwandelt sich unversehens zum Pinsel, Fäden lösen sich auf in Linien, Gewebe in Farbflächen – und Grenzen, die doch in Wahrheit keine sind, werden lustvoll überschritten und damit eingeebnet. Denn entscheidend ist nicht, ob Papier oder Textil, ob Faden oder Pinselspur – wichtig ist, wie die Dinge auf dem Blatt zueinander stehen, miteinander schwingen, gegeneinander zu Felde ziehen, damit sie uns etwas zu sagen haben.

„Denn wo das Strenge mit dem Zarten, wo Starkes sich und Mildes paarten, da gibt es einen guten Klang.“ Und auch, wenn Friedrich Schiller dies dem Glockengießen zugesprochen hat, gilt es gleichwohl für jedes ernst gemeinte Werk.

Und frei nach Schillers Bittschrift „Untertänigstes pro memoria“ sollen abschließend auch die Mühen künstlerischen Schaffens, gültig gleichermaßen für die Opfer der Wort-, Ton- und Textilkunst, dem geneigten Publikum zur Abschreckung von gleichartiger Berufswahl vor Augen bzw. Ohren geführt werden:

 

Dumm ist mein Kopf und schwer wie Blei und von Ideen ledig,

Mein Magen leer – der Himmel sei dem Künstlerdasein gnädig.

 

Ich kratze mit dem Federkiel auf den gewalkten Lumpen;

Wer kann Empfindung und Gefühl aus hohlem Herzen pumpen?

 

Die Waschmaschine rumpelt leis, am Kühlschrank kratzt der Kater.

Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, wo hol ich guten Rat her?

 

Mit Mausklick schnell ins Internet: In wenigen Sekunden

Habe ich zum Thema groß und fett unfassbar viel gefunden.

 

Ich tauche tief ins WorldWideWeb, dann leg ich los in Hektik,

der Hintern schwer, das Hirn entschwebt – das nennt man Dialektik

 

Schon bin von Musen ich geküsst, zwar spät, doch nicht zu späte,

da klingelt meine Mailbox laut: Ein Job! Und der bringt Knete!

 

Da lass ich meine Musen flieh’n – denn Kunst, die geht nach Brötchen!

Ich fahr zum Auftraggeber hin und küss ihm brav das Pfötchen!

 

Ich bin von Bargeld ziemlich frei, da mangelt es an Jubel.

Der Teufel hol die Künstlerei! Wann rollt denn nun der Rubel? (J. L.)

 

Dass diese Frage künftig positiv beantwortet werde, wünsche ich mir für alle beteiligten Künstler des Kunstfestes und für das Kunstfest im Kreativthal überhaupt und insgesamt – erstmal aber natürlich für Monika Besser, damit sie künftig nur noch mit goldenen Nadeln nähen kann! Erste Beiträge zu dieser leuchtenden Zukunft können heute bereits geleistet werden! Millionäre bitte hier melden! Es werden auch Goldbarren in Zahlung genommen!

Aber nur, weil die so schön schillern …

 

Erfurt, 10.06.05 | Dr. Jutta Lindemann