Petra Gremmer: Die Farben der Felsen

Felsen sind Geschöpfe der Erde, geboren in den konvulsivischen Krämpfen kraftvoller Umwälzungen – Feuer und Flamme als Geburtshelfer, aus sukzessiver Besänftigung der explosiv hervorgebrochenen Lavaströme über unvorstellbare Zeiträume hinweg ihre heutige Gestalt formend – himmelhohe Mauern und Türme über höllentiefen Schluchten und Abgründen, in denen wir Schutz suchen und finden oder uns für immer verlieren können, Ehrfurcht heischend und Demut weckend vor der Allmacht der Schöpfung.

 

Und oft pulsiert unter der schrundigen Steinhaut noch immer fühlbar das tief unten lebendig pulsierende glühende Herz der Erde – tödliche Bedrohung und Lebensquelle zugleich und in seinen Extremen und seiner Unüberschaubarkeit und Unbeherrschbarkeit ebenso symbolhaft für Anfang und Ende alles Lebendigen wie auch das Meer. Daher ist das Felsenmeer nicht zufällig ein Verwandtschaft beschwörendes Sprachbild.

 

Felsen sind Lehrbücher über die Geschichte der Erde, die sich uns an den unterschiedlichsten Stellen mit ihren Überraschungen öffnen und in vielfarbig leuchtenden Adern und Schichten und den darin gefangenen Spuren und Zeichen Geheimnisse offenbaren von Bewegung und Erstarrung, Leben und Sterben unter Hitze und Kälte im Lauf von Jahrmillionen.

 

In den konsequent flächenhaften, dramatisch schlichten und dadurch geradezu monumental wirkenden Bildkompositionen von Petra Gremmer umreißen großzügige Konturen auf Leinwänden gewachsene Felswände mit spröde gespachtelten, keramisch trocken und rauh anmutenden Steinhäuten von in sich ruhender Intensität – spürbar auch im vulkanischen Brandrot des Sandsteins der antiken jordanischen Felsenstadt Petra etwa oder in der sanft modulierten warmen Tonwertskala einer eher symbolischen als realen Klagemauer aus von Menschenhand gebranntem Gestein, zu denen man sich durch Finsternisse mühevoll seinen Weg bahnen muss.

 

Hier – wie in den auf jeweils ein rein duales Farbgegensatzpaar reduzierten abstrakt-konkreten Flächenkompositionen – regulieren glatte, klare Kanten die facettenreiche Begegnung der Elemente Luft und Erde, geprägt vom Umgang mit Feuer. Wie auch in den Farbfeldbildern, die aus sich immer stärker straffenden Landschaftsstudien heraus abstrahiert wurden, ist Licht, das Lebenselixier aller Farben – mit seinen kosmischen Ursprüngen, seinen spirituellen Kräften und doch offensichtlich seinen von der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen ursächlich abhängigen Wirkungen, ein durchgängiges Untersuchungsthema der Malerin – unabhängig, ob als physikalisches Phänomen oder psychologisches Problem. Farbe, lustvoll auf- und auch wieder abgetragen in einem immer suchenden Prozess, ist bevorzugter Bote von Intentionen, Emotionen, Visionen, vielleicht auch Illusionen. Aber auch der klare Umgang mit der Linearität als der ursprünglichsten Handschrift des Inneren im wahrsten Sinn des Wortes, der direkte, spontane Fingerabdruck der Seele, charakterisiert die künstlerischen Positionen der Malerin, vor allem ablesbar in konsequent konzipierten straffen Konturen, aber auch immer wieder in fein formulierten Binnentexturen, auf- und absteigend in schmalen Hochformaten, scheinen dem noch fühlbaren Pulsieren des Erdkerns behutsam nachzugehen oder auf eingeschlossene Spuren längst vergangenen Lebens zu verweisen. Doch die Linienstruktur nimmt auch bewusst jede Räumlichkeit zurück zugunsten einer betont flächenhaften und dadurch vereinfachten Bildorganisation, die der Klärung der Aussage dient. Und die thematische Beschränkung bewirkt entscheidend den verblüffenden Variationsreichtum, der sich aus verhaltensten Nunacierungen der Farben, Formen und Linienführung entwickeln lässt und das nur scheinbar unspektakuläre künstlerische Konzept von Petra Gremmer unverwechselbar prägt und wesentlich trägt.

 

Erfurt, Dezember 2007 | Dr. Jutta Lindemann