Winifred Zielonka

Laudatio zur Vernissage am 26.08.2004 im Kulturforum Haus Dacheröden

In manchen Seelen wohnt so tief die Kindheit, dass sie den Zauber niemals ganz durchbrechen. (Hermann Hesse: Gedichte, I,97)

 

Eine solche Seele, erfüllt vom Zauber des immer neuen, reinen Staunens über das Schöne der Welt, trägt wohl Winifred Zielonka in sich, deren Leben seit jeher davon erfüllt ist, diesem Schönen Gestalt zu verleihen.

 

Als Tochter eines Organisten mit Kunst aufgewachsen und frühzeitig künstlerisch gebildet, ist sie auch gegen die Widerstände der Zeit dem für sie einzig möglichen Weg des Gestaltens konsequent gefolgt, einem Weg, der ihrer individuellen Weltsicht entspricht: den damals gesellschaftlich nicht akzeptierten und auch heute durchaus nicht dem philosophischen Mainstream angepassten Lehren der Anthroposophie eines Rudolf Steiner.

 

Aber gerade darauf ist sicherlich zurückzuführen, dass ihr bildnerisches Werk von so authentischer Ausstrahlungskraft ist, überzeugend durch seine Verinnerlichung, die Kraft eines in Harmonie mit der Welt und in sich ruhenden Geistes, der die Quellen seines künstlerischen Ausdrucks adäquat in den Ideen der Steinerschen Lehre gefunden hat.

 

Ihre Arbeiten leben vom Licht, das sie wie von innen heraus durchdringt.

Licht ist die Seele der davon durchfluteten sensiblen Blätter, farbiges Licht, das durch die gewählten Techniken Pastell und Aquarell über die Transparenz lasierender Pigmentschichten oder feiner Schraffurschleier eindringlich auf uns herüber strahlt. Unvermittelt spürt der Betrachter, auch ohne die Künstlerin persönlich zu kennen, dass diese grundehrliche künstlerische Sprache Spiegel ihr ureigenes Wesens ist, das ebenso wie ihre Bilder von diesem inneren Licht dauerhaft getragen erscheint.

 

Und Licht und Farben helfen ihr, sich mit den Dingen zu umgeben, die ihr nahe sind und ihr am Herzen liegen – und uns an ihrer Freude daran und auch an ihrer Nachdenklichkeit darüber teilhaben zu lassen.

 

Recht in gleicher Weise heißen alle Werke der Menschen, die ihren Ursprung von innen nehmen. (Meister Eckhart: Sprüche 10)

 

Die in dieser Ausstellung gezeigte Auswahl konzentriert sich auf Arbeiten, die sich mit geometrischen Ordnungen auseinandersetzen – in abstrakten oder architektonischen Strukturen, in denen die sensible Konsequenz der Linie zum Tragen kommt und Realität und Vision zur abstrakten Strukturgebilden so verschmelzen, dass hinter der zunächst nur dekorativ erscheinenden Flächengliederung eine phantastische Traumwelt entsteht.

 

Nahezu symbolhaft werden diese Metamorphosen von Ich-Erfahrung und Welt-Erfahrung von innen nach außen getragen: teils in direkt von der Realität inspirierten, geometrisch aufgebauten Abstraktionen oder tektonischen Ordnungen, teils in den rhythmischen Formulierungen von frei aus der Fantasie entwickelten, immer wieder und wieder transformierten, nahezu transzendenten Traumvisionen von Städten, vor allem von ihrer Heimatstadt Erfurt und seinen alten Kirchen und Klöstern, doch auch von Stuttgart oder Wien oder von einer sagenhaften Märchenstadt, vom Artusschloss Camelot oder gar der ersehnten und nie erreichten Gralsburg.

 

Über die Flächen hin wandern sich wandelnde und sich einander anverwandelnde Formen von Dächern, Treppen, Türmen und gehen unmerklich ineinander über. Reduziert auf die Konturen der beinah bis zur Formel konzentrierten architektonischen Gestalt, die kristalline Strenge besänftigt durch sanft modulierte Pastelltöne und scheinbar durch den Bildgrund hindurch erleuchtet, wuchern die wie orientalisch-ornamentale Bildteppiche anmutenden Blätter anscheinend über die Bildränder hinaus und aufeinander zu, um unversehens zu endlos großen archaischen Zeichenfeldern miteinander verwachsen zu wollen.

 

Strukturell getragen und im Charakter geprägt werden – anders als die eher malerisch aufgefassten Landschaften – die architektonischen und die abstrakten Arbeiten von Linien, die durch ihren Verlauf zugleich das Entstehen jedes Blattes als Prozess in Raum und Zeit spürbar werden lassen – Linien, die kantig, winklig. mäanderartig ihren Weg durch den Bildraum suchen, einzeln oder gebündelt nebeneinander, frei aus dem Formgedanken der jeweiligen Bildidee heraus entwickelt und die behutsam aus wenigen Strichlagen in transparenten Schichten modulierten Farbfelder teilend, trennend oder verbindend. Die Linie als spontane Handschrift der Seele lässt die konsequente Klarheit des künstlerischen Konzepts von Winifred Zielonka unverfälscht hervortreten.

 

Wer sah schon jemals solche Bilder von unserer so häufig abgebildeten, doch vielleicht noch nie ihrem spirituellen Wesen erkannten Stadt des Meister Eckhart – klar, kühl, kühn gebaut wie eine Bachsche Fuge?

Im Zusammenklang der harmonisch gewachsenen Form- und Farbgefüge verschmelzen Sensualität und Spiritualität wie selbstverständlich miteinander.

 

Solche Bilderschrift zu lesen,

Wird mir stets das Leben lohnen,

Denn das Ewige, das Wesen,

Weiss ich in mir selber wohnen.

(Hermann Hesse: Gedichte, I, 63)

 

Die Dreigliederung des Menschen und der Welt in Leib, Seele und Geist, wie sie von Rudolf Steiner propagiert wurde, scheint ganz besonders dem künstlerischen Schaffen innezuwohnen, wenn es sich ernsthaft darum bemüht, das Verhältnis des Menschen, zuallererst das eigene, zur eigenen Individualität und zur Welt insgesamt, über die Prozesse der gestalterischen Kreativität zu entdecken, denn bildnerisches Tun erprobt spielerisch das Erschaffen und Verwandeln von Wirklichkeit, eingebettet in den Lebensstrom.

 

Das Licht aber scheint die beste Brücke zwischen Menschenseele und Weltgeist zu sein, zur Erfahrung des Göttlichen in jedem irdischen Geschöpf selbst – ein Gedanke, der Meister Eckhart beinahe auf den Scheiterhaufen gebracht hätte und ihn sogar noch bis vor kurzem dem Vatikan suspekt erscheinen ließ.

 

Das bildnerische Werk Winifred Zielonkas macht diese Gedanken sinnlich fassbar, ganz besonders in den lichterfüllten architektonisch-abstrakten Schöpfungen dieser Werkgruppe, in denen die Künstlerin die Erinnerungen an ihre Traumstädte bewahrt, die auch wichtige Lebenserinnerungen einschließen und den Betrachter das Göttliche letztlich auch in den Schöpfungen von Menschenhand erspüren lassen.

 

Das lässt uns die unermüdlichen Metamorphosen des Lebendigen wie des Geschaffenen erahnen, im Blühen und Welken einer Pflanze oder im Werden und Vergehen eines Menschenlebens ebenso wie in der massiven Monumentalität vor Jahrtausenden aus dem Lavafluss heraus langsam erstarrter Gesteinsformationen, immer wieder bewegt von den Kräften des Feuers wie vom Licht der Sonne und der Wucht des Wassers – und schließlich auch im oft Jahrhunderte andauernden Verwandeln und Verfallen allen materiellen Menschenwerks, so auch des Gebauten, das über Zeiten oft zurückgeführt wird auf seinen Grund und Kern oder sogar auf seinen Ursprungsgedanken.

 

Und alles, was die Seele wirkt, das wirkt auch die einfache Natur in den Kräften. (Meister Eckhart: Traktat Von den Stufen der Seele)

 

Winifred Zielonka hat nicht die äußere Welt zum Maßstab ihres künstlerischen Tuns gemacht, sondern immer die Eingebungen ihrer Seele, und so hat sie unberührt von den Einflüssen wechselnder Moden, aber auch von Ruhm oder Ablehnung in der Kunstwelt, in der Stille eines ihre Kräfte speisenden inneren Lichts, wenngleich auch nicht ganz unbemerkt, ihr in sich stimmiges, weil einem harmonisch in sich ruhenden Geist entflossenes Werk entwickeln können, das zuerst ihr selbst, aber dann vielleicht auch manchem Erkenntnis, Vertiefung und Verinnerlichung Suchenden hilft, ein entgegen dem äußeren Schein durchaus nicht immer harmonisches Leben zu bewältigen.

 

Eckhart schließt den Kreis und hebt auch dieses Werk auf im Kreislauf unserer vergänglich ewigen Welt, aus der es hervortritt und in die es schließlich als ein Teil von ihr wieder eingeht, vielleicht nicht ohne sie zuvor auf die sanfte, doch bestimmte und beharrliche Weise der Winifred Zielonka ein wenig verändert zu haben.

 

Denn alles Geschaffene geht auf in Wandlung. (Predigten 100)

 

 Erfurt, 26. August 2004 | Dr. Jutta Lindemann