Michail Balan – Europäische Synagogen

Rathausgalerie „Etage 2“

Bildnerische Darstellungen von Synagogen sind nicht so häufig in der Geschichte und Gegenwart der Kunst – berühmte Beispiele wie Adolph Menzels „Das Innere der Alt-Neu-Synagoge Prag“ von 1888 oder Max Beckmanns „Die Synagoge von Frankfurt am Main“ aus dem Jahr 1919 ragen ziemlich solitär aus der Architekturmalerei heraus.

 
Erst in der Gegenwart sind auch Zyklen bekannt geworden, denn das Thema Synagogen hat neue Bedeutungen gewonnen, aus traurigem historischem und gutem aktuellem Anlass – beides spiegeln die zwei Serien, die ich hier als Beispiel anführen möchte:

 
Der Berliner Künstler Alexander Dettmar hat über Jahre die Überreste und Dokumente zerstörter Synagogen in Deutschland studiert und diese in rund 100 Bildern durch Farbe zu neuem Leben erweckt. Und die Synagogenbilder der Kinder und Jugendlichen der Münchener Gruppe „Chanichim“ innerhalb einer Ausstellung, die jüdische Symbole in das ebenso dargestellte nichtjüdische Alltagsleben einordnen, zeigen auch den Stolz auf diese bewahrten oder wieder gewonnenen, weil neu geschaffenen Traditionen in Gestalt der besonderen, nach eigenen Gesetzen und Anforderungen in Stein geformten, jedoch oft der Architektur der Zeit und Umgebung angepassten Versammlungs- und Gebetshäuser, die nach dem griechischen Wort für „sich versammeln –  synago“, hebräisch „Beth knesset“ oder auch „Beth tefila“ bezeichnet werden. Der Begriff Synagoge taucht seit dem 3. Jahrhundert vor Christus auf, Spuren eines der ersten so genutzten Gebäude (das im Gegensatz zu christlichen Gotteshäusern nicht geweiht sein muss) sind im griechischen Delos aus dem 1. Jahrhundert vor Christus bekannt.

 
Eine Synagoga genannte Figur, zumeist als Skulptur dargestellt, ist aber auch im Kontext mittelalterlicher Dogmatik eine Allegorie des Judentums und wird in Verbindung und Abgrenzung zur Figur der Ecclesia, die für das Christentum steht, verwendet, wobei die Synagoga durch Symbolbeigaben und Haltung als vom Christentum überwunden charakterisiert wird.

 
Dass sich der Maler Michail Balan für Synagogen interessiert, ist kein Zufall. Der Weg des 1942 im Dorf Nischna Tschirska im Wolgograder Gebiet Geborenen führte über das Studium an verschiedenen Kunstfach- und –hochschulen in Kischinjow, Moskau und Tiraspol/Moldawien und zahlreiche Ausstellungen und Publikationen vor nunmehr 11 Jahren nach Deutschland und ab 2004 nach Erfurt, wo er neben dem Russisch-deutschen Kunstverein auch der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen angehört und damit neu zu einigen seiner Wurzeln fand.

 
So wie es ihm über Jahrzehnte hinweg wichtig war, immer wieder die Schönheit der Landschaften und Gebäude seiner Heimat, vor allem der Stadt Tiraspol mit künstlerischen Mitteln auch für andere sichtbar zu machen, führte die Spurensuche ihn, den begeisterten Architekturmaler, zu den Synagogen. Reisend entdeckte er vor allem die Thüringer Gebetshäuser und auch solche in anderen Regionen Deutschlands, viele davon erst in den letzten Jahren restauriert und wieder belebt, manche aber auch nur noch in Aufzeichnungen und Erinnerungen vorhanden. Doch seine russische, moldawische und ukrainische Heimat spielt hier mit Moskau, Kiew, Odessa und anderen Städten ebenso eine Rolle, und sein Blick weitet sich darüber hinaus auf die Zeugnisse jüdischen Lebens in Ost- und Westeuropa wie in Prag oder Rom bis hin zu Jerusalem – all das zumeist aus eigener Anschauung, zuweilen auch mit Unterstützung von Ansichtskarten. Räumlich bedingt kann hier nur eine kleine Auswahl dafür stehen, wie lebendig jüdische Kultur sich letztlich auch über ihre bauliche Manifestation bis heute in der ganzen Welt darstellt.

 

Dabei interessiert den Maler von seinem emotionalen Wesen und seiner  impressiv geprägten bildnerischen Auffassung her mehr als eine architektonische Analyse die oftmals jahrhundertealte Seele des Bauwerks, die erregende Atmosphäre des Ortes, die vor allem durch Farbe ausgedrückt werden kann. Und es geht ihm auch weniger um künstlerische Formexperimente oder malerische Finessen als um die konkrete und direkte Authentizität dieser Schauplätze, die Geschichte und Gegenwart äußerlich wiedererkennbar und innerlich nacherlebbar miteinander verbinden – unsere Geschichte und unsere Gegenwart.

 

Dass lebenswarme Töne dominieren, doch meist gedämpft, eingebettet in herbstschwere Melancholie, zeigt die tiefe Nähe des Malers zu diesen Häusern, die eine solche Fülle an Trauer und Freude in ihren Mauern bergen, dass in die Gesichter der Gebäude die menschlichen Schicksale ihrer Nutzer über Jahrhunderte wie eingeschmolzen erscheinen.

 

Für einen besessenen Maler wie Balan gibt es keinen Ruhestand, und so ist er auch mit seiner bildnerischen Spurensuche noch nicht am Ziel angelangt. Doch von ganz besonderer Bedeutung auf diesem Weg ist sicherlich diese Auseinandersetzung mit dem kulturhistorischen Phänomen der Synagoge, das zugleich Symbol der Erinnerung, der Mahnung und eines Neubeginns ist, der gerade uns in Deutschland noch immer besondere Verpflichtung sein muss.

 
In diesem Sinne schlägt die Ausstellung nicht nur zeitlich, sondern vor allem inhaltlich eine Brücke zwischen der Interkulturellen Woche und den Jüdisch-israelischen Kulturtagen. Das weitere Schaffen von Michail Balan aber kann sicherlich der Satz von Marc Chagall begleiten:

 
„Wenn ich aus dem Herzen heraus arbeite, gelingt fast alles.“

 

Erfurt, 12.10.2010  |  Dr. Jutta Lindemann