Gisela Richter

Jenseits der Alpen – Südliche Landschaften

Creuzburg 16.02.2010

So wie wir jetzt und immer wieder inmitten ihrer Geschöpfe stehen, so war auch sie immer wieder – als ein jedoch durchaus nicht ruhender Pol, sondern eher als Epizentrum eines geheimen Kraftfeldes – mittendrin in allem, was ihr lieb war, nämlich Menschen und Malerei, Kunst und Katzen, Landschaft und Literatur, Schönheit und Sprache, und neben der Schwerblütigkeit ihrer thüringischen Heimat hatte es ihr auch immer der sonnenglühende, wenngleich nur auf den ersten Blick unbeschwerte Süden angetan.

 

Voll warmherzig umfassender Liebe, aber auch lustvoller Leidenschaft erlebte sie vor allem in ihrem Sehnsuchtsland Italien vom nur scheinbar unscheinbaren Stein bis zur unfassbar üppigen Blütenfülle und der Leuchtkraft des Lichtes alles mit größter Intensität, und diese dort in vollen Zügen getankte Energie des Bilderlebens konnte sie, getragen von einem starken Kunstwillen, bis ins Erfurter Atelier hinein mitnehmen und mit Farbgewalt auf die Leinwand verströmen.

 

Dafür brauchte sie viel Raum und Luft, und deshalb wurden die Erfurter Künstlerwerkstätten zu ihrer zweiten Lebenswelt, wo sie seit vielen Jahren auch einige kleinere Räume als Daueratelier, bei Bedarf aber vor allem das Großraumatelier für ihre nahezu explosiven Schaffensräusche nutzte. Nächtelang verwandelten sich hier die angesammelten Impressionen zu höchster Expression, und man kann nur immer wieder und immer noch staunen, was dieser lawinenartige Urtrieb zur künstlerischen Botschaft aus ihrem doch gar nicht so stark scheinenden Körper herauszuholen vermochte.

 

Doch vor diesem stets die letzten Kräfte fordernden Aufstieg zum Gipfel eines immer wieder unvergleichlichen Schöpfungsaktes standen die berühmten Mühen der Ebenen: das aufmerksame Hinsehen, tiefe Wahrnehmen, im Zeichnen Festhalten. Nichts konnte ihrem Blick entgehen, sie war eine Detektivin der Liebe zum Leben in allen seinen Facetten, die sicherlich ganz besonders geprägt war durch ihre seit vielen Jahren am eigenen Leibe schmerzvoll erfahrene Nähe zum Sterben.

 

Ich konnte sie Mitte der 90-er Jahre einige Tage durch Venedig begleiten, eigentlich in ganz anderer Mission unterwegs, doch auch hier, überrollt von einer Bildlawine, war der Skizzenblock immer griffbereit, der Stift immer in Bewegung – ob auf dem Cafétisch neben der Espressotasse, dem steinernen Brückengeländer, der Bank im Guggenheim-Garten – und der schwarze Dreispitz auf dem Schneewittchenhaar verzauberte sie dabei zu einem Geheimkurier der Kunst.

 

(Ihrem überzeugenden Charme gelang es übrigens ebenso wie der Überzeugungskraft ihres Kunstangebotes, während dieser Begegnung mit der Lagunenstadt so ganz nebenbei einer späteren Ausstellung ihrer Arbeiten im historischen Palazzo eines venezianischen Kunstvereins den fruchtbaren Boden zu bereiten.)

 

Und so wölbt sich der Spannungsbogen ihres Vokabulars von der zarten Linie – oft auch in Radierplatten gegraben und nicht selten zu labyrinthisch bizarren Texturen weiter gesponnen – bis hin zum machtvoll pastosen Pinselstrich – dramatisch und doch immer wieder nachdenklich gebrochen – auf Riesenleinwänden, die souverän bewältigt sind mittels klarer Komposition und kräftig saftigem, doch zugleich fein ausmoduliertem Kolorit.

 

Dass Gisela Richter sich dabei zwischen Zeichnung, verschiedenen Techniken der Druckgrafik und Malerei mit gleich hohem Qualitätsanspruch, aber immer neuen inhaltlichen Intentionen und Konzepten sicher bewegt, versteht sich von selbst – hinzu erobert wurden in den letzten Jahren die spezifischen Werte und Potenzen des Emails, das malerische mit grafisch-zeichnerischen Aspekten ganz selbstverständlich zusammenführen kann.

 

Zunächst scheint die Welt ihrer Motive – Berglandschaften, Steinstrände, Felshänge, Gartendschungel, Wellenwildnis, oft sukzessive in freie Strukturgefüge transformiert – auf den ersten Blick zu begrenzt, um den Reichtum ihrer Erfahrungen in der äußeren wie auch ihre Erlebnisse in ihrer eigenen inneren Welt, die einander osmotisch durchdringen, angemessen spiegeln zu können. Doch dieser Schein trügt gewaltig: Sie porträtiert in den ungezählten, vielgestaltigen Gesichtern der von ihr erfahrenen und erlebten Welt zugleich die steinigen Wüsten und prangenden Gärten der menschlichen Seele mit all ihren Gipfeln und Abgründen, zwischen denen man seinen Weg finden muss. Dabei ist ihr jeder einzelne Fund eine Kostbarkeit, die zu betrachten und zu bewahren sich lohnt: Gisela Richters von großer innerer Stärke und zugleich sicher beherrschtem Handwerk getragene künstlerische Sensibilität lässt daraus klar formulierte und doch fein ziselierte grafische Pretiosen entstehen, und ihre riesenhaften Gemälde werden zu Altären der Huldigung an die unzerstörbar strahlende Pracht des Lebens.

 

Dies täglich zu leisten, bei allem Glanz der häufigen Gipfelstürme auch zuweilen mit Rückschlägen und Selbstzweifeln leben zu können wie jeder Künstler und dabei immer wieder liebevoller und gerade deshalb auch fordernder Partner für andere Menschen, Künstlerfreunde im D 206 oder im VBK etwa, und für ihre Freunde und die Familie zu sein, verlangte ihr mehr Kraft ab als anderen, Gesünderen. Doch entschädigte sie für alle Anstrengungen immer wieder der Rausch vor der Leinwand in manch unaufhaltsam durchmalter Nacht im Großraumatelier, nicht rational zu erklären, geschweige denn zu beherrschen – sie hat mir davon erzählt und von den ungeahnten Kräften, die ihr dann wuchsen wie Flügel.

 

Mitten aus der Freude auf einen solchen Schaffensrausch heraus, umgeben von Künstlerfreunden, den Blick auf neu Entstehendes gerichtet, betrat sie einen neuen Weg, auf dem wir ihr nicht folgen konnten, doch ihre Geschöpfe begleiten uns weiter, umgeben uns mit ihrer Wärme und Welterfahrung.

 

Dafür dürfen wir immer dankbar sein.

 

Dr. Jutta Lindemann