TAT.ORT

15 Jahre Textil Art Thüringen

Ermittlungsergebnisse & Plädoyer

Im Anfang war – der Verdacht – der Tatverdacht.

Denn etwas ist geschehen, das Aufsehen erregt und Fragen aufwirft.

Die Taten sind belegt, denn die Spurensicherung hat glücklicherweise ganze Arbeit geleistet und schließlich haben alle Ermittler keine Kosten und Mühen gescheut, um den Tathergang hier an einem der Tatorte zu rekonstruieren.

Und Sie alle können nun Zeugen sein, Zeugen der Anklage und der Verteidigung zugleich.

 

Im folgenden bin ich befugt, aus den Aufzeichnungen sowie dem Abschlussbericht der befristet ins Leben gerufenen SOKO „Textil“ auszugsweise zu zitieren:

 

Allerdings muss zuvor noch mit einiger Bestürzung konstatiert werden, dass eine leitende Angehörige der SOKO „Textil“ temporär selbst in die Machenschaften des Täterkollektivs verwickelt war und wohl heute schon wieder ist. Doch wegen akuten Personalmangels haben wir von den erforderlichen Konsequenzen, etwa, diese Ermittlerin aus dem Fall abzuziehen, Abstand nehmen müssen.

 

Zahlreiche Tatortbesichtigungen haben ergeben: Es begann offenbar schon vor vielen Jahren. Und es war kein Einzeltäter, sondern vielmehr eine in ihrer Zusammensetzung gelegentlich wechselnde Tätergruppe mit bisher insgesamt 36 Mitgliedern!

 

In jedem Fall handelt es sich jedoch um Serientäter, denn es konnten nicht nur mehrere Tatorte, die zeitversetzt genutzt wurden, aufgefunden werden, sondern die Indizien weisen auch Übereinstimmungen in Tatverlauf bei mindestens acht Fällen in insgesamt 15 Jahren auf. Unseren fleißigen Forensikern ist es sogar gelungen, die Spuren bis in das Jahr 1977 zurückzuverfolgen. Möglicherweise sind also einige Taten der Bande bereits verjährt!

 

Den Tatverdacht gegen die heute zu Überführenden erhärten darüber hinaus die an allen Orten aufgefundenen Tatwaffen wie z. B. diverse Nadeln, Scheren, Nähmaschinen und ähnliche gefährliche Geräte, doch auch spezielle an allen Tatorten nachweisbare Materialien mit betonter Flächenausdehnung, die meisten einzuordnen in die Kategorie Textil, weit gefasst dazugehörig auch Papiere und Folien aller Stärken und Charaktere, ganz besonders aber Fäden jeglichen Kalibers. Zu den unverwechselbaren Ritualen der verschiedenen Tätergruppen gehörte es dabei, diese Materialien experimentell auf immer neue, ungewöhnliche Weise so miteinander zu verknüpfen, dass originelle Flächengebilde und skulpturale Objekte bis hin zu komplexen Rauminszenierungen entstehen.

 

Oder, um aus dem Untersuchungsbericht der Spurensicherung zu zitieren:

 

„Die Resultate beschreiben mit hohem künstlerischen Anspruch das gesamte Spektrum zeitgenössischer Textilkunst vom kreativen Bewahren traditioneller Techniken und Auffassungen bis hin zu material- und medienübergreifenden Experimenten im spannungsreichen Beziehungsfeld zwischen Fläche, Körper und Raum, von der Miniatur bis zu Installation und Performance und bringen sich mit ihren öffentlichen Präsentationen auf spezifische Weise interaktiv in den aktuellen Diskurs der Gegenwartskunst ein.“

 

Unsere SOKO „Textil“ hat mit viel Mühe auch die mysteriösen Decknamen knacken können, die von den Täterinnen den einzelnen Tatkomplexen und Aktivitäten zur Tarnung gegeben wurden, wie etwa „Der Rote Faden“ 1992, 1993 „Nm 10/5“ und „Himmel Art und Zwirn“; „Bewegte Umgestalt“ 1994, „Kunst auf der Höhe“ 1996; „Schriftzeichen“ 1996/97, „Maskeraden“ und „petit TAT“1997, „2000 Zeichen“ 2000, „Licht und Leicht“ 2004 und schließlich noch in diesem Jahr „Schwebende Gärten“! Dokumentationen der Tatverläufe können Sie hier einsehen, um Ihr Urteil zu untersetzen.

 

Dabei konnten wir feststellen, dass es ihnen immer wieder und sogar europaweit gelang, bis dahin unschuldige und unbescholtene Menschen in ihren Bannkreis zu ziehen und an ihren ungeheuerlichen Taten so zu beteiligen, dass sie unweigerlich von der unglaublichen kriminellen – äh – kulturellen Energie der Beschuldigten nachhaltig angesteckt werden mussten.

 

Dringend tatverdächtig sind folgende Personen, die noch heute einer ersten und letzten Vernehmung zum Tathergang unterzogen werden sollen – und wir hoffen, die Wahrheit zu hören und nichts als die Wahrheit, so wahr ihnen Gott helfe:

 

Drasdo Ulrike aus Hohenfelden

Grawitter Nora aus Gera

Hartung Cordula aus Meiningen

Herre Ute aus Erfurt

Maschke Anne- Katrein aus Erfurt

Prange Christl aus Halle

Reichenbach Hannelore aus Erfurt

Schöne Christel aus Weimar

Suchy Sybille aus Achelstedt

Treß Hildegard aus Meiningen

 

Ich fordere also die des Vergehens der Herrichtung dieses Tatorts Beschuldigten auf, sofern anwesend, nach vorn zu treten und in nachfolgenden Verhören freiwillig Geständnisse abzulegen, um damit ihre bisher ermittelten Täterprofile hinreichend zu untersetzen, denn die uns hier umgebenden Beweise sind erdrückend!

 

Die Genannten und viele darüber hinaus ihrem Kreis verbundene bzw. zeitweilig der Textil-Bande Angehörige sind angeklagt der fortgesetzten Kunstausübung zugunsten Dritter, der andauernden Kulturtäterschaft – und wie zu erkennen ist, zeigen sie auch keinerlei Symptome von Reue!

 

Damit sie sich der hohen Gerichtsbarkeit nicht durch Flucht entziehen können, werden zumindest die, die das nicht bereits getan haben und also anwesend sind, um die alte Kriminalistenweisheit zu bestätigen „Der Täter kehrt immer an den Tatort zurück“, sicherheitshalber mit der Güldenen Rose des Krönbacken gebrandmarkt.

 

Denn obwohl wir nach umfangreicher Ermittlungsarbeit die materielle Beweislast allen sichtbar darstellen konnten, fehlen uns doch noch die ideellen Aspekte. Das bedeutet, es fehlen uns noch überzeugende Hintergrundinformationen, um Aufschluß über die gemeinsamen Tatmotive zu erlangen, die vermutlich die Tätergruppe zu einer für das Thüringer Kulturleben gefährlich förderlichen Gang zusammengeschweißt haben.

 

Vermutet werden kann jedoch aufgrund der bisherigen Beweislage jetzt bereits, dass beispielsweise das Spaß-Syndrom eine dominante Rolle spielt, neben der Kreativ-Komponente und dem guten alten Gemeinschafts-Geist.

 

Zu befürchten ist allerdings nach unseren bisherigen Erkenntnissen, dass diese hartnäckigen Kulturtäter, deren einige sich zu allem Überfluß noch regelmäßig an Jugendlichen vergreifen, auch durch drakonische Strafen nicht davon abzuhalten sein werden, ihren bereits aufgeklärten Schandtaten unverzüglich weitere folgen zu lassen.

 

Und nicht genug damit – sie haben sie sogar in der typisch provokanten Manier von Unverbesserlichen bereits öffentlich angekündigt:

 

Neben dem schon erwähnten, erst jüngst kollektiv verbrochenen BUGA-Attentat namens „Schwebende Gärten“ sind das ein als Ausstellung deklarierter Überfall auf den Thüringer Landtag hier in Erfurt ab 20.09. und ein massiver Angriff auf das konservative Kulturbewußtsein der Thüringer ab 14.09. im Glockenmuseum Apolda.

 

Es scheint also zu befürchten: Tatorte gibt es auch künftig, sagen wir, in den nächsten 15 Jahren, wohin man in Thüringen auch blicken mag – geschaffen von einer geballten Ladung krimineller – äh – kultureller Kräfte, gegen die offensichtlich kein Kraut gewachsen ist – lediglich das böse Pflänzchen „Mittellos“, auch „Sine Pecunia“ genannt, könnte dem einen Riegel vorschieben. Das allerdings wuchert allenthalben in immer größerer Zahl, wenn man ihm nicht zu Leibe rückt, und lässt also eine schwache Hoffnung auf endgültige Vernichtung dieses unheilvollen Kulturtreibens aufkeimen, in das sich auch andere Kulturgangs wie etwa der geheimnisumwitterte „D 206“ oder das berüchtigte Erfurter Schmucksymposium mit unschöner Regelmäßigkeit und unangenehm nachhaltigen Folgen stürzen, da der unheilvolle Drang zur Zusammenrottung wohl bei Künstlern nicht zu bremsen scheint.

 

Doch für heute wollen wir es gut sein lassen mit der anstrengenden Tätersuche und erst einmal die SOKO „Textil“ in den wohlverdienten Urlaub schicken, denn die Tatverdächtigen sind nun dingfest gemacht und weitgehend überführt, wenn auch noch nicht geständig.

 

Wir übergeben sie daher unverzüglich – nach einem letzten Verhör, das nun folgen soll – der öffentlichen Gerichtsbarkeit und hoffen auf ein Urteil, das ihren Taten gerecht wird.

 

Ich danke dem Hohen Gericht und allen Zeugen für ihre Aufmerksamkeit!

 

Erfurt, 07.07.07 | Dr. Jutta Lindemann