Katharina Häfner & Ina Hermann

1000 fröhliche Hyänen

Laudatio zur Vernissage am 07.10.2006 im Vorderhaus Krönbacken

Hyänen? Iiiiiih!!!

Fragt sich ja wirklich, was die immer so zu kichern haben – bei dem unappetitlichen Speiseplan: Gammelfleisch sozusagen, wenn auch nicht aus der Tiefkühltruhe!

Menschen! iiiiiih!!! Und dann noch Narren, eine ganze Schiffsladung davon? Alle Bosheiten und Verrücktheiten der Welt in diesem Raum versammelt?

Um Himmels willen – nichts wie weg!

Halt, halt – einen Moment noch! Auf einen Gedanken! Hyänen und Narren? Was verbindet die eigentlich?

Beide Spezies ernähren sich von dem, was anderen nicht mehr gut genug ist: Und beide verarbeiten es zu – Gelächter!

Das kann man doch nur hoch effizient nennen, oder?

Vielleicht könnte das auch für uns ein gut verdauliches Rezept sein?

Jede Menge Bosheit und Bissigkeit, scharfer Blick und scharfe Zähne, verquirlt mit Lust und Liebe zur Malerei – und schon ist angerichtet.

Verdorben haben den süßen (Narren-)Brei zwei Köchinnen, die vielleicht schon so manchem Kunst-Gourmet in die Suppe gespuckt haben: Katharina Häfner und Ina Hermann.

 

Beide gebürtige Erfurterinnen (Jahrgang 1964 und 66) verbinden neben ihrer Freundschaft eine künstlerische Seiteneinsteigerkarriere von der Buchhändlerin und Antiquarin bzw. der Holzbildhauerin her und langjährige, zuweilen immer wieder auch gemeinsame künstlerische Erfahrungen beispielsweise als zeitweilige Lehrkräfte an der Erfurter Malschule und Ausstellungen mit der Künstlergruppe „Chiffre 4“, aber auch die Malwut und der Form-Mut, die Leidenschaft für raumgreifende Formate und Kompositionen, feurige Farben und kraftvolle Konraste, aber auch für eine künstlerische Position, die ihr eigentliches Anliegen erst auf den zweiten oder gar dritten Blick enthüllt.

 

Und doch blicken sie diesmal zunächst durch sehr unterschiedlich gefärbte Brillen in die Manege, in der Narren und Hyänen uns miteineinander ein ganz besonderes Theatrum mundi aufführen.

 

Ina Hermann wurde von den kuriosen Insassen des Narrenschiffs gekapert, das vor rund 500 Jahren durch Sebastian Brant vom Stapel gelassen wurde und zu unserem Erstaunen oder besser Erschrecken noch immer Kurs hält mitten hinein in unsere gesellschaftliche Wirklichkeit – oder gilt das heute etwa nicht mehr:

 

Ja würt all gschrifft vnd ler veracht/Die gantz welt lebt in finstrer nacht/Vnd dût in sünden blint verharren/All strassen/gassen/sindt voll narren.

 

In immerhin 113 Kapiteln führt der Autor Eigenschaften als närrisch wie z. B. Habsucht, Dummschwätzerei oder Ehebruch; die Fashion Victims werden ebenso vorgeführt wie die maßlosen Gierschlünde, aber auch vor den Türken und dem nahen Weltende wird gewarnt; Regierende bekommen gute Ratschläge und ein neuer Heiliger namens St. Grobian tritt als Flegel auf.

 

Offenbar war jedoch alles vergebliche Liebesmüh‘, sonst säßen wir nicht heute immer noch in demselben Schlamassel, wo Millionärsprotz und die freche Selbstbedienungsmentalität von Aufsichtsräten und Firmenbossen schrill der steigenden Arbeitslosigkeit und einem rasanten Sozialabbau gegenüberstehen, wo es sogar schon wieder Kinderarmut gibt. Und blicken wir über unseren immerhin noch ganz gut vergoldeten Tellerrand hinaus, erscheint uns die ernste Mahnung des Ursprungstextes wie frischfrommfröhliches Wohlstandskabarett angesichts der realen Situation etwa in Osteuropa oder Afrika.

 

Auf der jahrhundertealten Suche nach lebbaren Werten haben sich inzwischen die Maßstäbe in schier unerträgliche Dimensionen verzerrt, die Schere zwischen Himmel und Hölle, Vision und Wirklichkeit klafft unfassbar auseinander, so dass kaum noch Lösungen möglich scheinen.

 

Oder könnte beispielsweise – um einige aktuelle Diskussionen vielleicht politisch inkorrekt zu verknüpfen – eine Steigerung der Gebärfreudigkeit von europäischen Frauen in Verbindung mit der Senkung der Scheidungsrate etwa durch ein Verschleierungsgebot erreicht werden oder die Einführung von Schuluniformen vor Kinderpornografie schützen? Und gibt es ähnlich hilfreiche Rezepte gegen Waffenschieberei und Drogenschmuggel, Korruption und Kriegshetze? Dann nur zu!

 

Vielleicht brauchten wir wieder einen Sebastian Brant, damit sich die Welt nicht eines Tages vor lauter Narretei selbst auseinandersprengt! Aber bleiben wir jenseits potentieller Interpretationen bei dem, was wir sehen.

 

Mutig und unbefangen und mit einer gehörigen Portion aggressiver Ironie bewaffnet tritt Ina Hermann mit ihren großzügig hingeschriebenen und sparsam farbig akzentuierten Pinselzeichnungen in große Fußstapfen oder doch zumindest dicht daneben, denn als größenwahnsinnig will sie natürlich auch nicht unbedingt betrachtet werden:

 

1494 fertigte der junge Albrecht Dürer, der sich auf seiner Wanderschaft in Basel aufhielt, als Hauptmeister 73 Holzschnitte von insgesamt 103 Illustrationen zu Brants erstmals 1494 erschienener Schrift mit ihrer ehrlich empört anklagenden Gesellschaftssatire, die auch höchste Kreise und die klerikalen Moralwächter selbst nicht ausspart.

 

Wie Transparente in der Tradition mittelalterlicher Flugschriften stellen sich die rauh belassenen Papierbahnen vor das alte Gemäuer aus der Zeit des Sebastian Brant, von witterungsfesten, mit Acrylfarbe und Permanentmarkern bemalten und beschriebenen Folien überzogen, und fordern uns zum Disput heraus.

 

Dispute mit Narren?

 

Narren sind im ausgehenden Mittelalter bereits längst vor Brant als gottverneinende, sündige Figuren bekannt, die mit dem Fastnachtsfest, wie wir es heute kennen, noch gar nichts zu tun hatten – bestens jedoch geeignet für die Moralsatire – Outlaws jenseits von Gut und Böse, die nichts mehr zu verlieren haben und deren Worte man daher öffentlich belachen konnte oder sogar musste, aber innerlich durchaus ernsthaft bedenken durfte.

 

Doch die Figur bezeichnet auf der anderen Seite auch einen betrügerischen Schelm, der andere zum eigenen Vorteil arglistig täuscht und dabei ihnen mehr oder weniger absichtlich zugleich den Spiegel der eigenen Unzulänglichkeit vor die Nasen hält, ein Geistesbruder des Till Eulenspiegel – auf gefährlicher Gratwanderung zwischen Weisheit und Bosheit, schwankend wie die Wände jeglicher Moralgebäude selbst, wie die über Jahrtausende von Menschen verkündeten großen Weltwahrheiten, derer man sich wohl doch nie so ganz sicher sein darf.

 

Outlaws in anderem Sinne sind auch diese eigenwilligen Tiere mit den runden Ohren und breiten Schnauzen, die man nur selten in europäischen Zoos findet, weil sie in der Beliebtheitsskala ganz unten stehen: die Hyänen.

 

Was nimmt man ihnen übel, was macht sie in den Augen der Welt so hässlich? Sie fressen Aas – und sie lachen! Also nehmen sie bescheiden, was andere übrig lassen, sind der Reinigungsdienst der Wüste – wir aber bewundern und lieben die Raubtiere, die töten. Und sie scheinen fröhlich zu sein, ohne dass wir verstehen können, warum. Na, sowas war schon immer verdächtig!

 

Für Katharina Häfner stehen Hyänen (Gnathostomata/ Mammalia/ Eutheria/ Carnivora/ Feloidea/ Hyaenidae) für einen ganzen Sack voll einander widerstreitender Gefühle: Lust bis zur Gier, ungezügelte Wildheit bis zum Exzess, Mut zu Unabhängigkeit und Ungebundenheit – offenbar eine Wahlverwandte der berühmten Wolfsfrau.

 

Und für besondere Unmoralität spricht vielleicht auch dieTatsache, dass die weibliche Hyäne über eine unter Säugetieren einmalige Ausprägung der äußeren Geschlechtsorgane verfügt, die sie von den Männchen kaum unterscheiden lassen – Unverschämtheit aber auch!

 

Von explosiver Wildheit sind auch die Begegnungen der Menschen- und Tierwesen auf den großformatigen, farbintensiven Bildern, die trotz ihrer Anmutung von Spontaneität überlegt gebaut sind – aus einander überlagernden, schablonierten und gesprühten Farbschichten, in der dynamischen Bildschrift und expressiven Komposition den saftigen Farbholzschnitten etwa eines HAP Grieshaber in seiner ebenfalls an mittelaterliche Motive angelehnten „Totentanz“-Folge durchaus nahe.

 

Die poetischen Titel konterkarieren keck, was die gewohnte Bilderfahrung gerade mühsam zusammeninterpretiert hat – und entlassen uns in die Freiheit des assoziativen Entdeckens hintersinniger Botschaften, die den von keiner Käfigstange aufzuhaltenden scharfgezähnten Großmäulern fantastischer Fabelwesen und den skurrilen Schädeln ihrer ihnen in funkensprühender Hassliebe verbundenen meist weiblichen Menschenfreunde entspringen.

 

Und so wächst zusammen, was zusammen gehört: Outlaws zu Outlaws, Tollheit zu Tollheit, Malwut zu Farbrausch – und dazu gemeinsames Hyänen-Gelächter in der Nacht – oder doch nur ein Pfeifen im dunklen Keller?

 

Einigkeit macht stark!

Report einer Begegnung zur Beratung gegenseitig interessierender Fragen

(Ein verspäteter Nachtrag zum jüngst verflossenen Tag der Einheit)

 

Sie trafen kürzlich aufeinander, ob Zufall oder nicht, das fand er

dann schließlich nebensächlich. Ach wirklich? Ja, tatsächlich.

Ihr wisst schon, wen ich meene:

Der Narr und die Hyäne.

 

Ihr Thema eint sie auf die Schnelle: Man mißt sie mit der gleichen Elle!

Sie stehen stets am Rande in diesem schönen Lande!

Das fanden sie gemeene,

Der Narr und die Hyäne.

 

So wollten sie sich jetzt verbünden und endlich eine Lösung finden,

Und sich nun wichtig machen,

„Dass keiner wagt zu lachen! Wir machen endlich reene –

Der Narr und die Hyäne!“

 

Doch wagten sie erst eine Probe: Wie wär es denn, wenn man sie lobe,

sie überschütte nur mit Ehre und ihnen niemals nichts verwehre?

Gar schröcklich schien die Szene

Dem Narrn und der Hyäne!

 

Das hieße brav sein allezeit! Wo bliebe da die Fröhlichkeit?

Wer spräche dann die Wahrheit? Wer sorgte dann für Klarheit?

Wer tritt uns auf die Beene

Wie Narr und wie Hyäne?

 

„Ach nee“, beschlossen sie spontan, „wir bleiben lieber, wie wir war’n!

Und locken Ruhm und Geld – die Freiheit ist’s, die zählt!“

So blieben denn alleene

Der Narr und die Hyäne.

 

Und wisst ihr, was sie machten?

Sie lachten!

 

Erfurt, 7. Oktober 2006 | Dr. Jutta Lindemann