Schmuck 2011

In der Galerie Waidspeicher des Kulturhofs Krönbacken – Laudatio am 17.12.2011

Was ist und wozu benötigt man Schmuck?

 

Diese Frage beschäftigt seit urdenklichen Zeiten nicht nur Archäologen, Kunsthistoriker und knickrige Ehegatten.

 

Und sollte ich mich dazu hinreißen lassen zu behaupten, ich könne diese Frage heute und überhaupt jemals zufriedenstellend beantworten, dann möge mich wohl, wie die Finnen fluchen, der Teufel hellrosa besticken!

 

Aber ein kleiner Versuch sei gewagt, sich in diesem Deutungsdickicht mehr und manchmal auch weniger ernst herumzuschlagen – es ist nicht der erste und wahrscheinlich auch nicht der letzte – und ob ich am Ende die Hecke der Wirrnisse durchbrechen, HEUREKA rufen und Dornröschen zwecks finaler Erweckung und Erkenntnis küssen darf, soll dahingestellt bleiben und mir der Exkurs trotzdem verziehen sein!

 

Nur eines ist sicher: Wer behauptet zu wissen, was Kunst ist, der lügt.

Warum sollte das also bei Schmuck, wenn wir ihn als Kunst fassen, anders sein?

 

Meine Damen und Herren,

 

bitte werfen Sie also zuerst sofort Ihre Brillanten fort (vielleicht hier neben mich?)! Ich muss sie nämlich konfiszieren! Sowieso trägt man Brillanten erst ab 70, wenn sie von selbst zwischen den Falten halten!

 

Und vergessen Sie danach auch alles, was Sie von der Magie der Steine und des Goldes gelesen haben, vor allem, wenn diese Magie von der des Geldes unmittelbar abhängt!

 

Dabei schreibt man edlen Steinen, sogar gänzlich ungeschliffenen, seit Menschengedenken durchaus auch Kräfte zu, die weniger mit Gold aufgewogen denn mit Zugewinn an Selbsterkenntnis und Lebensweisheit bezahlt werden: Die Inder beispielsweise vertrauen innerhalb der Lehren des Tantra auf die Steinchakras, die für alle Bereiche von Körper und Seele stärkende und klärende Kräfte aus den Eigenschaften ziehen, die den verschiedenen Edelsteinen zugeschrieben werden.

 

Aber es geht um mehr als um Glanz und Gloria, Prunk und Protz oder um die allbekannten Kohäsionen zwischen Klunkern und Klamotten – nicht nur um Schmuck als Fortsetzung von Kleidung mit anderen Mitteln – um mehr, als über den Körper hinaus den Raum zu erobern, den das Kleid in all seinen Figurationen, durch den Träger vom toten Lappen zum lebendigen, beweglichen, veränderlichen Objekt geworden, bereits beherrscht.

 

Ganz direkt oder über feinere, noch unsichtbare Antennen nehmen die Schmuck-Stücke an den Wänden, in den Vitrinen und im Raum das Gespräch mit uns auf – vorausgesetzt, auch unsere Antennen sind empfangsbereit auf den richtigen Frequenzen.

 

Was braucht es dann noch Juwelen mit all ihrem Glanz und Glamour, ihrer Zauber-( und Zahlungs-)Kraft! Ein Geistesblitz sollte heller sein als das Feuer eines Brillanten, der Schliff der Sprache (ob Wort-, Bild- oder Zeichensprache) den eines Diamanten übertreffen!

 

Und wo nicht, da bleibt uns doch die spielerische Lust, die kreative Ermutigung, die aus Originalität und Offenheit für alles Neue, Kommende, noch nie Gedachte und Gewagte entsteht – eine Lust, die aus den Augen aller Künstler, Mitglieder dieser fortwährenden Verschwörung gegen unsere beiden großen Hauptfeinde, die allseits bekannten gemütlichen Herren Muff und Trott, funkelt – ein weltweit wachsender Geheimbund, der offensichtlich heute hier im Hause Jahreshauptversammlung haben muss.

 

Das glauben Sie nicht? Dann schauen Sie doch Ihrem Nachbarn in die Augen, Kleines!

Zeitgenössischer künstlerischer SCHMUCK ist seit Jahren ein tragendes Ausstellungsthema für die Galerie Waidspeicher im Kulturhof Krönbacken, die einen ihrer Schwerpunkte bei Kunsthandwerk und Design hat und daher häufig Präsentationsort für Resultate der Erfurter Schmuck- und Emailsymposien und des Erfurter Stadtgoldschmiedes, aber auch für Schmuckprojekte anderer Künstler war und hoffentlich bleiben wird.

 

Dass Schmuck in all seinem Facettenreichtum von der solitären Miniatur bis zur skulptural-räumlichen Inszenierung wie ein Leitmotiv das Ausstellungsprogramm dieses Hauses durchzieht und im August und September 2012 einen weiteren Höhepunkt in der Präsentation der Ergebnisse der regulär 14. (in Wahrheit jedoch 15.) Ausgabe des international renommierten Erfurter Schmucksymposiums finden wird, hat seinen Ursprung in einer trotz Mangels an einschlägigen Ausbildungseinrichtungen lebendigen Schmuckszene in dieser Stadt, die auf Künstler mit dauerhaft großer auch internationaler Ausstrahlung zurückzuführen ist wie etwa Uta Feiler oder Rolf Lindner, die nicht nur Ideen wie das Schmucksymposium und den Stadtgoldschmied geboren, realisiert und langjährig befördert, sondern auch den dazugehörigen „Tatort“, die städtischen Künstlerwerkstätten mit ihrem Engagement bis heute lebendig gehalten haben.

 

Unkonventionelles Herangehen an den Schmuckbegriff und kreativer Umgang mit alternativen Werkstoffen auf solider handwerklicher Basis – seit jeher Markenzeichen zum Beispiel auch des schon genannten Erfurter Schmucksymposiums, nicht nur aus der (inzwischen vom Überfluss des Materialangebots abgelösten) Not geboren, sondern vor allem aus einem aufmüpfig gefärbten Spieltrieb und ebenso lange auch immer wieder produktiv umstritten in der Rezeption (Ist denn das noch Schmuck? Dürfen die denn das?) – prägen unübersehbar die junge zeitgenössische ost-, west- und außereuropäische Schmuckszene, die regelmäßig auch in Erfurt zusammentrifft – ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt, das noch immer außerhalb ihrer Mauern bekannter zu sein scheint als innerhalb.

 

Es sollte weiter überlegt werden, wie sich das künftig ändern lässt!

 

Dabei ist man sich auch im zeitgenössischen Schmuckschaffen der Traditionen als Wurzeln eigenen Verstehens und Könnens durchaus bewusst und arbeitet doch zugleich souverän mit ihnen, fügt stolz Neues, Eigenes hinzu. Doch alte Wurzeln sind zwar unentbehrlich, aber auch ebenso fest wie hart – junge Triebe haben es da nicht immer leicht.

 

Und moderne Schmuckauffassungen fordern auch hier immer wieder zu durchaus kontroversen Debatten bei Produzenten wie Rezipienten heraus.

 

Schmuck – was ist das?

 

Sicherlich bereitete es schon immer Menschen Freude, mit der Ausstrahlung des eigenen Körpers zu experimentieren, Körperteile, vor allem die erotisch bedeutsamen, zu betonen und zu verschönern, aber auch, sich einfach nur am Leuchten der Farben von Metallen und Steinen, am Glitzern und Funkeln raffiniert bearbeiteter Oberflächen, am Reiz interessanter Formspiele zu ergötzen. Kleidung, Frisuren, Körperbemalungen und sogar dessen zuweilen schmerzvolle Veränderungen und eben auch Schmuck boten und bieten dafür unendlich vielfältige Möglichkeiten.

 

Doch Schmuck durfte beileibe nicht immer sich selbst oder der Ästhetik eines je nach Sitte und Kodex wohlgestalten oder auch verunstalteten Körpers genügen, sondern hatte auch klare Aufgaben: Nicht nur weibliche Dekolletés wurden von Glitzerwerk illuminiert – durchaus auch Männerbrüste schwollen jahrhundertelang vor Stolz der Anstecknadel aus Edelmetallen und seltenen Steinen entgegen oder – in den jüngst vergangenen Zeiten der Inflation politischer Ehrungen – auch mal goldfarbenem Tombak und buntem Glasfluss vom Fließband der Ordensfabrik, wobei seit Beginn dieses Jahrhunderts zunehmend Masse die Klasse eines künstlerisch anspruchsvollen Schmuckstücks ersetzen musste, was zu den skurrilen form- und farbreichen „Klempnerläden“ auf manch bürgerlicher oder proletarischer Heldenbrust unter Smoking oder Uniformrock führte.

 

Aber Schmuck auch in mancherlei anderen Formen – als Halskette, Ring, Armspange oder Münzanhänger – galt und gilt vielen Völkern seit Urzeiten bis heute als sichtbares und verständliches Zeichen der Anerkennung besonderer Leistungen im Sinne des Gemeinwohls (den gemeinen Schaden im Falle des Kriegsordens, der zuweilen sogar aus Kriegsbeute gefertigt wurde, einmal ausgeklammert).

 

Die Indianer Nordamerikas, afrikanische Völker und auch unsere Vorfahren schmückten respektive schmücken sich mit dem Recht des Siegers und daher den Trophäen des Besiegten oder auch mit Symbolen dafür: Klauen, Zähne, Knochen, Schädel legten ebenso Zeugnis von der Überlegenheit des starken Jägers ab wie heute kostspieliger Schmuck mit Designerlabel als Zeichen pekuniären Erfolgs gelten soll.

 

Aber es verband sich damit auch die Hoffnung auf Übertragung der Kräfte des Unterlegenen: etwa körperliche Kraft mit Armspangen aus Nashorn oder Ringen aus Elefantensohlenhaut, Scharfsichtigkeit von Adlerkrallen und Adlerfedern, Gewandtheit durch Häute und Wirbel von Schlangen, und Reihungen von Elfenbein und Leopardenzähnen waren Beweis für Mutproben.

 

Heute sind diese Zusammenhänge leider etwas undurchsichtiger: Niemand trägt Tabellen mit Wählerstimmen um den Hals, Besitzurkunden von Immobilien ans Revers geheftet oder die Bankrotterklärung der Konkurrenzfirma um den Finger gewickelt – ganz abgesehen vom Mangel an ästhetischer Attraktivität bei solcherart Trophäen aus dem alltägliche Dschungel von Politik und Wirtschaft.

 

Zuweilen konnte übrigens sogar das Schmuckstück selbst einen direkten Beitrag zum gesellschaftlichen und/oder wirtschaftlichen Erfolg seines Trägers leisten – man denke nur an die berüchtigten Giftringe der Familie Borgia.

 

Und doch erklärt all das nicht, was den Zauber, die Verzauberung bewirkt, die von den scheinbar so nüchtern konstruierten Kunst-Schmuck-Stücken ausgeht.

 

Vielleicht ist es der Raum, den Schmuck zwischen Materialien, Farben, Linien und Körpern für unseren Geist, unsere Gedanken und Gefühle geöffnet hält – denn erst durch seine Begrenzungen, Teilungen und Gliederungen durch Körper und Gegenstände wird der Raum als Raum erkannt und erlebt und der Wunsch geweckt, ihn geistig und materiell auszufüllen, vielleicht zu verändern, zu erweitern oder sogar seine Grenzen zu überschreiten.

 

Kunst macht Räume zu Bühnen unserer Phantasie.

 

Und was ist Schmuck ohne den Menschen, der die ästhetische Intention des Künstlers, die zugleich eine sozialkommunikative und philosophische ist, für sich akzeptiert und diese Affinität nicht nur intellektuell, sondern auch mit spürbarer sinnlicher Lust demonstriert, der diesem ihm vom Künstler geöffneten materiellen und geistigen Raum mit seiner lebendigen Existenz Sinn gibt und sich herausfordern lässt, sich zu seiner Individualität in Nähe und Reibung zu den Lebenspositionen des Künstlers öffentlich zu bekennen?

 

Und spätestens hier wagt der Schmuck den Sprung aus der formal mehr oder weniger eingrenzenden Abhängigkeit der Körperbindung hin zum freien skulpturalen Kunstwerk – und wird als Miniaturobjekt zum künstlerischen Zeitgeistspiegel auf kleinstem Raum – damit aber auch allen Maßstäben unterworfen, denen sich ein Kunstwerk von eigenständiger ästhetischer Kraft und gesellschaftlicher Relevanz zu stellen hat.

 

Game over für den klassischen Goldschmied – dessen Können zwar unerlässlich bleibt für die Realisierung der Formidee, dessen ideelle Bindungen jedoch gesprengt werden!

 

Denn jetzt kommt der Ernst des Lebens in der harten Welt des Mediums Kunst! Und doch bleibt die sprichwörtliche Heiterkeit der Kunst im immer auch Spielerischen dieses Arbeitsfeldes erhalten … Wie alle guten Künstler gehören daher auch die „Schmuckler“ zur Spezies der Zwitter – konservativ und innovativ zugleich: voll Mut und Wut, um das Neue zu gewinnen, ohne das Alte zu verlieren.

 

Das Wichtigste auch und gerade für Schmuckmacher bleiben jedoch trotz aller neu gewonnen „Freiheit“ vom Körper immer Menschen, sie lieben Menschen, für sie arbeiten sie. L’art pour l’art ist letztlich ihre Sache nicht. Sie haben‘s halt anders gelernt. Partner für den Schmuckmacher als freien Künstler sind allerdings nicht nur die Träger ihrer Schöpfungen, sondern eben auch die „Nur“-Betrachter, die die neue funktionale Unabhängigkeit des Schmucks akzeptieren und genießen.

 

Wie alle Künstler suchen auch sie Wahrheit, indem sie versuchen Klarheit zu schaffen – selbst wenn den Partnern in diesem Dialog zunächst manches unklar bleibt, denn die Botschaften von freiem künstlerischem Schmuck sind auf ganz besondere Weise zeichenhaft verschlüsselt. Kenntnisse zeitgenössischer internationaler Kunst sind jedoch oft der entscheidende Weg, den Code zu knacken.

 

Und doch erkennen und bewahren auch Schmuckkünstler in jeder Kreation wichtige Geheimnisse des Lebens, weil sie wie Bertolt Brecht wissen:

 

Wo es keine Geheimnisse gibt, gibt es keine Wahrheit.

 

Und Robert Musil muss auch ihre Arbeit gemeint haben, als er fragte:

Was bleibt von Kunst?

Und sich und uns die Antwort gab:

Wir, als Geänderte, bleiben.

 

Blicken wir also unerschrocken in den uns verändernden magischen Spiegel der Kunstwerke, die bis Ende Januar auf der Bühne dieser Präsentation paradieren:

 

Ex oriente lux:

 

Weit her gereist aus Łódź in Polen sind die GOLDENEN KREATIONEN.

 

Mich verbinden mit Polen und gerade mit der Stadt Łódź intensive Erinnerungen an Kunst und Schmuck. Mitte der 80er Jahre besuchte ich mit einer kleinen Gruppe Thüringer Textilkünstlerinnen die Ausstellung der internationalen Textil-Triennale von Łódź, und wir hatten in den wunderbaren Museen der Stadt nicht nur Gelegenheit, erstmals Originalarbeiten berühmter Künstler wie Joseph Beuys zu sehen (das war keine Überraschung, denn dank der Zeitschrift „Projekt“ wussten wir seit langem um die Weltoffenheit der polnischen Kultur), sondern auch die anregenden Werkstätten der Łódźer Kunstakademie, wo ich viele experimentelle Impulse für meine damalige Arbeit im Fachbereich Kunst der Pädagogischen Hochschule Erfurt erhielt.

 

Aber wir bestaunten auch in den Schaufenstern phantasievollen polnischen Silberschmuck und sahen betrübt in unsere leeren Portemonnaies. Schließlich reichte es bei mir auf der Heimreise in der Warschauer Altstadt für einen kleinen Ring, der mich jahrelang täglich begleitete und Erinnerungen wachrief an einen alten Mann, der auf der Straße im Schneesturm das auch uns bekannte Lied sang: „Noch ist Polen nicht verloren!“

 

Die aktuelle Präsentation folgt auch an ihrer 13. und letzten Station dem Crédo der Gründerin des Ateliers für Schmuckdesign bei der damaligen Staatlichen Kunstschule in Łódź (heute Strzemiński Kunstakademie Łódź), was der Łódźer Schmuckgemeinschaft den Anfang gab – Lena Kowalewicz-Wegner:

 

Unser künstlerisches Konzept basiert auf der abstrakten Denkweise. Gestaltung entspringt der allgemeinen künstlerischen Theorie, d.h. den Fragen der Komposition, Proportionen, Rhythmen, Kontrasten. Formelle Analyse ist ein untrennbarer Ausdruck der Gestaltung. Schmuck – nach unserem Verständnis – ist eine Zusammensetzung der rein visuellen, räumlich-bildhauerischen Formen. Wir lehren kein Schema oder eine Manier, die den Studenten beigebracht werden könnten. Es soll, auf der Basis von allgemeinem künstlerischem Wissen, vom verwendeten Material und von der Individualität des jeweiligen Studenten abhängig, ein neues, innovatives Konzept entstehen, da dasselbe Wissen der Gestaltung von Schmuck und der Bildhauerei dient.

 

Das ist inzwischen 50 Jahre her, und daher ist „Goldene Kreationen“ auch eine retrospektiv gemeinte Jubiläumsausstellung, die die Geschichte des Schmuckdesigns in der Region Łódź präsentiert mitsamt seiner Verwandlungen und Evolutionen. So ist Gelegenheit zu beobachten, inwieweit die ursprüngliche Vision von Władysław Strzemiński (1893-1952), Erbe der künstlerischen und didaktischen Traditionen von Bauhaus und Kasimir Malewitsch – Gründer und wichtigste Persönlichkeit der Łódźer Avantgarde, ein Visionär und Intellektueller und einer der herausragenden Künstler und Lehrer der 1945 gegeründeten Staatlichen Kunstschule Łódź – durch Lena Kowalewicz in die Sprache vom Schmuck übersetzt werden konnte. Seine Idee war, eine Kunst zu schaffen, die die Welt revolutioniert und das Alltagsleben durchdringt.

 

Seit 1987 ist Strzemiński offizieller Patron der Schule, die bis heute seine Ideen fortsetzt.

 

Im Jahre 1959 wurde von Lena Kowalewicz-Wegner (1924-1989), ehemalige Studentin von Strzemiński, Erbin seiner „Theorie des Sehens“, in seinem Sinne engagiert für abstrakte Malerei und selbst ausgezeichnete Lehrerin, die sich damit für die Gleichberechtigung zwischen freien Künsten und des bis dahin nur als Handwerk angesehenen Schmucks einsetzte, an der heutigen Fakultät Textil und Mode Polens erstes akademisches Atelier für Schmuckdesign gegründet. Schmuck misst sie an den Gestaltungskriterien der Skulptur. Doch dabei bleibt ebenso ein wesentlicher Aspekt, dass der Mensch die Funktionalität der Objekte determiniert. Sie entdeckte auch für den traditionellen Schmuck untypische Materialien – statt Gold und Edelsteinen Messing, Kupfer und verschiedene Halbfertigprodukte oder Readymades, um in den neuen Stoffen innovative Inspirationen zu suchen.

 

Im Jahre 1972 wurde dazu noch das zweite Atelier für Metallgalanterie gegründet, welches Prof. Zygmunt Ogrodowski übernommen hat. Später wurden die beiden Ateliers wieder vereinigt und werden seit 1984 von Prof. Andrzej Szadkowski geleitet. Im Jahre 2002 wurde das Atelier in den heutigen Lehrstuhl für Schmuck umgewandelt, der sich aus insgesamt drei Ateliers zusammensetzt – das Atelier für Grundlagen der Schmuckgestaltung, das Atelier für Schmuck und das Atelier für Goldschmiedformen – darüber hinaus auch aus technischen Werkstätten wie u.a. einer Werkstatt für Emailtechniken. Neu und spannend ist aktuell auch ein Atelier für computergestützes Schmuckdesign. Der Lehrstuhl von Łódź ist derzeit die einzige Institution Polens, wo sowohl die Jugend als auch aktive Künstler eine professionelle Ausbildung im Bereich Schmuck bekommen können – von den handwerklichen Aspekten über Schmuckgeschichte bis zu den Grundlagen des Marketing – eine Ausbildung, die sie mit dem Titel Master abschließen. Derzeit lehren bekannte Künstler dort, unter ihnen Prof. Andrzej Szadkowski, Gründer des Lehrstuhls und erster Professor Polens im Bereich Schmuckgestaltung, und Prof. Andrzej Boss, seit 2008 Leiter des Lehrstuhls. Seit 1998 kann an der Fakultät Textil und Mode für Schmuckgestaltung ein Bachelorabschluss erworben werden, seit 2001 der Masterabschluss.

 

Die Lehrer, Absolventen und Studenten des Lehrstuhls für Schmuck nehmen ständig an Ausstellungen und Wettbewerben in Polen und im Ausland teil, wo sie oft wertvolle Preise gewinnen und die Łódźer Akademie erfolgreich unter den bedeutenden Schmuckschulen positionieren. Die letzte Dekade hat nicht nur persönliche Veränderungen im Lehrstuhl mit sich gebracht, sondern auch eine Zusammenarbeit mit wichtigen Schmuckveranstaltungen innerhalb und außerhalb Polens wie der Inhorgenta und der Internationalen Handwerkmesse München.

 

Die Ausstellung „Goldene Kreationen“, die das 50. Jubiläum des Lehrstuhls für Schmuck feiert, wurde an zahlreichen Orten präsentiert, u.a. in München während der Internationalen Handwerkmesse, aber auch in Breslau, Thorn, Danzig, Warschau und Liegnitz. Neben der Retrospektive der Entwicklungen seit 1959 ist sie gleichzeitig eine Darstellung der Leistungen aller, die mit ihren Schaffen bewiesen haben, dass Schmuck eine „reine“ Kunst ist, der Malerei und Bildhauerei gleichgestellt. Die gegenwärtigen Erben dieser Position – Prof. Szadkowski und Prof. Boss zusammen mit dem gesamten Lehrkörper – setzen die Ideen ihrer großen Vorgänger fort, wobei sie dieses wichtige Ausbildungszentrum für Schmuck weiter ausbauen.

 

Im Geist einer Philosophie, die Künstlerschmuck als Träger des Weltgeists meint, wird ein Feuerwerk an Ideen im Spektrum aller erdenklichen Farben, Formen, Werkstoffe und Techniken entzündet, das vom Handwerk der klassischen Metallbearbeitung mit dem Ergebnis Ring oder Kette über das skulpturale Objekt bis hin zu temporären Inszenierungen wie dem bewegten Lichtstrahl auf der Haut reicht, vom titelgebenden Gold und anderen kostbaren oder kostbar scheinenden Materialien bis zu Synthetiks und Fundstücken aus Natur und Technik, Papieren, Fotos, Glas und Textilresten, die durch Kunst Goldwert gewinnen, geadelt durch die Gedanken der Künstler, in einer reichen Formsprache von strenger Geometrie bis zu barocker Verspieltheit, die auch mit den funktionalen Traditionen etwa von Orden und Ehrenzeichen heiter und souverän umgeht.

 

Ein ganz anderes Herangehen führte zu dem Gemeinschaftsprojekt im Obergeschoss unter dem Titel HEIMAT IST EIN GEFÜHL UND KEIN LAND:

 

Die Idee in Erfurt auszustellen, hat ihren Ursprung in einer zufälligen Begegnung in der Fremde, fern jeder Heimat. Hier kreuzten sich die Wege der japanischen Schmuckdesignerin MASAKO HAMAGUCHI und der deutschen Schmuckdesignerin KAROLA TORKOS als Dozentinnen an einem Londoner College. Schnell zeigte sich, dass Erfurt für beide eine besondere Bedeutung hat – speziell die Erfurter Künstlerwerkstätten sind ein Ort der Gemeinsamkeit, eine Etappe in der jeweils eigenen Entwicklung als Schmuckgestalter – die Idee eines gemeinsamen Projekts zum Thema HEIMAT lag nahe.

 

Für Masako Hamaguchi ist die Stadt Erfurt 1998 Aufenthalts- und Arbeitsort als Stadtgoldschmiedin. Arbeiten zum Thema Arche Noah – Trauerschmuck für Familie und enge Freunde Noahs zum Gedenken an die Zurückgelassenen entstehen. Die Teilnahme am 8. Erfurter Schmucksymposium folgt. Karola Torkos dagegen ist gebürtige Erfurterin, tat hier erste Schritte im Schmuckmachen. Im Haus zum Güldenen Krönbacken ist sie ebenfalls 1998 und später 2004 an den Gruppenausstellungen „Aus eins mach zwei“ und „Stroh zu Gold“ beteiligt.

 

Ursprungsgedanke der Ausstellung ist Wiederkehr an einen Ort, der beide in ihrer Arbeit im Schmuck auf unterschiedliche Weise geprägt hat. In Vorbereitung auf die Ausstellung haben die Künstlerinnen folgerichtig im September 2011 gemeinsam für zehn Tage in den Erfurter Künstlerwerkstätten gearbeitet und eine Zeit für intensives Arbeiten, Gedankenaustausch und das „dreidimensionale“ Gespräch an einem beiden bekannten Ort gefunden. Neben der Ausstellung aktueller Schmuckarbeiten beider Künstlerinnen werden die Ergebnisse des Arbeitsaufenthaltes in Erfurt gezeigt.

 

Die Tatsache, dass Masako und Karola vieles verbindet, bildet das Fundament für eine gemeinsame Ausstellung; sei es das Fernsein der Heimat, das Heimatsuchen in der Ferne, das (kulturelle) Interesse für das Mutterland der jeweils anderen, vergleichbare Fragestellungen im künstlerischen Schaffen und vieles mehr – ein Austausch, der geprägt ist von den Eigenheiten und Unterschieden eines jeden, seiner jeweiligen Kultur und Erziehung, aber auch von den Ähnlichkeiten, die sich durch den beruflichen Werdegang ergeben.

 

Dass das Arbeiten im Schmuck beiden eine Heimat geworden ist, somit ein Ort des Angekommenseins, ist ein Zustand, der nicht nur nach bildnerischer Darstellung fragt, sondern auch nach einem Dialog mit dem Publikum sucht.

 

Beide stellten fest, dass im Gegensatz zum englischen Wort „Home“ die Bedeutung des Begriffs „Heimat“ sowohl im Deutschen als auch im Japanischen (kokyo / furusato) wesentlich vielschichtiger und differenzierter war. So bezeichnet „Heimat“ nicht nur die Beziehung eines Menschen zu Raum und Ort, sondern auch einen Gefühlszustand. Mit „Heimat“ können im Gegensatz zum englischen Begriff reale oder sogar vorgestellte Objekte und Menschen bezeichnet werden, etwas was uns also mit etwas anderen identifiziert und dabei immer positiv bewertet wird. Vielleicht war „Heimat“ die Gesamtheit der Lebensumstände, in denen ein Mensch gewachsen ist, oder sogar in einem utopischen Sinne auch der erst noch herzustellende Ort in einer fremden Welt oder einer Selbstentfremdung – jenseits jeder Herkunft. Was Heimat bedeutet, erfährt insbesondere jener, der in der Fremde lebt.

 

Während des Aufenthalts in Erfurt und auch in vorangegangenen Gesprächen hat sich ein gemeinsames Thema bzw. eine gemeinsame Form hervorgehoben – das Haus.

 

Das Haus ist ein universelles Symbol für Heimat, für einen Ort, in dem man wohnt. Es ist die Definition eines Raumes, einer Konstanten. Es kann Realität sein oder ein Wunschtraum.

 

Es kann Festung sein, aber auch ein verletzliches Konstrukt – ein (meist) stummer Zeuge individueller Geschichten. Es ist sicherlich nichts Neues, Häuser zu bauen, auch nicht im Schmuck. Aber mit dem Haus ist es wie mit den geometrischen Grundformen Kreis, Quadrat und Dreieck, man lässt sich von ihnen immer wieder zu künstlerischen Arbeiten verführen.

 

Und das Unbehaustsein ist demgegenüber ein materieller wie ideeller Zustand, der die Sehnsucht und Suche nach einem Heim, einer Heimat, das Heimkommenwollen und Heimischwerden stark befördert.

 

Die gemeinsame Ausstellung zeigt Schmuck, der ganz direkt mit dem Begriff „Heimat“ identifiziert werden kann, aber auch im weitesten Sinne das Thema hinterfragt und vielleicht nicht nur uns in mancherlei Hinsicht „Heimatlosen“, also Entwurzelten diverse Antworten anbietet, sondern auch herausfordert, sich mit Gedanken im Begriffsfeld von „Heimat“ und deren Gewinn oder Verlust, also auch mit Ankommen und Weggehen, mit Zugehörigkeit und Bindung oder Einsamkeit durch Bindungslosigkeit auseinanderzusetzen – also letztlich mit existentiellen sozialen und philosophischen Fragen der Menschheit.

 

Beide finden dabei nicht nur durch die Raumkonzeption immer wieder zueinander und entfernen sich ebenso wieder: Während Masako Hamaguchi vor allem Bild- und Schriftzeichen leitmotivisch die Grundidee begleiten lässt: als Hauswappen, Textfragmente über Orte, Straßen, in denen sie lebte, Symbole für seelische Verortung wie etwas das Herz, in dem letztlich die Heimat sich geborgen findet – nimmt Karola Toros die Sache sehr wörtlich und spielt mit den Möglichkeiten der unglaublich variablen Form Haus – und beide Formbereiche spiegeln, überlagern und verknüpfen sich während ihrer Begegnung im Raum, führen den Betrachter jedoch zugleich auch durch die sinnlich erlebbare reizvolle Vielfalt der Materialien und Technologien ihre Gedankenwege entlang durch den als Installation erfahrbaren Raum.

 

Schmuck, wie er hier verstanden wird, schickt uns auf die Suche und hilft uns zu finden:

 

eine Heimat im unendlichen Phantasieraum der Kunst. Seine handhabbare, im wahrsten Sinne begreifbare Form, die optisch und haptisch erfahrbare sinnliche Kraft der Werkstoffe und des unbegrenzt kreativen Umgangs damit lässt mehr Nähe zu als jede andere Kunst, fordert sie geradezu heraus – und damit eine ganz spezifische Reflektion von Wirklichkeit, ebenso spielerisch und frei wie kritisch und streng, ein gewissermaßen hautnahes Nachdenken über die ganz individuelle Beziehung jedes einzelnen zur Welt – voll Lust und Schmerz zugleich.

 

Die Künstler stellen ihren Schmuck provokant mitten hinein in eine Welt, wie sie schon Erich Kästner bitter beschrieb, vor fast 100 Jahren:

 

Die Städte wachsen. Und die Kurse steigen.

Wenn jemand Geld hat, hat er auch Kredit.

Die Konten reden. Die Bilanzen schweigen.

Die Menschen sperren aus. Die Menschen streiken.

Der Globus dreht sich. Und wir drehn uns mit.

Die Zeit fährt Auto. Doch kein Mensch kann lenken.

Das Leben fliegt wie ein Gehöft vorbei.

Minister sprechen oft vom Steuersenken.

Wer weiß, ob sie im Ernste daran denken?

Der Globus dreht sich und geht nicht entzwei.

Die Käufer kaufen. Und die Händler werben.

Das Geld kursiert, als sei das seine Pflicht.

Fabriken wachsen. Und Fabriken sterben.

Was gestern war, geht heute schon in Scherben.

Der Globus dreht sich. Doch man sieht es nicht.

 

Die Kunst widerspricht, macht sichtbar, wie die Welt sich dreht, stellt sich gegen die Bitternis.

 

Diese Ausstellung ermutigt auch uns dazu, dagegen zu sein, indem wir dafür sind: Für KUNST!

 

Erfurt, 17.12.2011 | Dr. Jutta Lindemann